Be Mey Guest

Heute soll ein schöner Tag werden, denke ich mir beim Aufstehen.

Es ist ein warmer, fast frühlinghafter 23. Januar. In Deutschland herrscht strenger Frost, und ich sitze bei plus 7 Grad auf dem Spielplatz und schaue meiner Schlittenbahn beim Auftauen zu.

Ich würde gern jemanden auf ein Stück Kuchen einladen. Mir fallen ohne langes Nachdenken zwei Dutzend liebe Menschen ein, mit denen ich gern auf eine Kanne Kaffee oder Tee zusammen säße. Aber die sind alle mindestens 1000 km weit entfernt.

In diesen anstrengenden Wochen, mit einem schreienden Baby und einem weltentdeckenden Zweijährigen, vermisse ich meine Leute besonders. Wie schön wäre das, mit jemandem in Ruhe darüber zu plaudern, wie sich diese besondere Lebenssituation anfühlt: zwischen wortlosem Staunen, Innigkeit, ständiger Gleichzeitigkeit, Überforderung und Wahnsinn.

Es kommt kein Besuch. Kein Grund, nicht trotzdem einen Kuchen zu backen. In Gedanken lade ich alle ein!

Um diesem Tag eine besondere Note zu geben, verkünde ich meinem Sohn: „Heute darf Mama die Musik aussuchen.“ Pippi Langstrumpf hat Pause. Heute hören wir Reinhard Mey.  Der Knirps ist nicht begeistert und tauscht zweimal heimlich die CD aus, während ich im Nebenzimmer am Wickeltisch stehe. Ich tausche sie ebensooft wieder zurück.

Ich habe eine Aufnahme eines Live-Konzertes von 1986 gegriffen. In dieser Zeit war Reihnard Mey ein junger Vater und hat, wie ich finde, seine schönsten Lieder geschrieben: musikalische Geschichten über seine kleinen Kinder. Mein Apfelbäumchen. Menschenjunges. Keine ruhige Minute.

Als sie dann erklingen, diese feinsinnigen, verschmitzten Lieder, da habe ich das Gefühl, dass Reinhard sich zu uns in die Küche setzt. Er stört sich kein bisschen an der Unordnung. War bei ihm damals wohl auch nicht anders, wie er singt:

„Ich hab‘ längst aufgehört, um meine Aussteuer zu zittern,
dich hält nun mal nichts auf, kein Drohen und kein guter Rat.
Heut‘ fehlt mir etwas, höre ich nichts donnern, klirr‘n und splittern,
und ein Tag ohne Trümmer scheint mir langweilig und fad.
Und abends lieb‘ ich es, auf deinen Murmeln auszugleiten,
die Prellungen und dein Gelächter nehm‘ ich gern in Kauf.
Ich brauch dein Durcheinander, denn eins ist nicht zu bestreiten:
In deinem Chaos fällt meine Unordnung nicht mehr auf.“

(aus: „Ich frag mich seit ner Weile schon„)

„Das Haus fing doch erst an zu leben,
Seit dein Krakeelen es durchdringt,
Seit Türen knall‘n, und Flure beben
Und jemand drin „Laterne“ singt.
Früher hab‘ ich alter Banause
Möbel verrückt, verstellt, gedreht,
Ein Haus wird doch erst ein Zuhause,
Wenn eine Wiege darin steht!

Keine ruhige Minute
Ist seitdem mehr für mich drin.
Und das geht so, wie ich vermute,
Bis ich hundert Jahre bin!“

(aus: „Keine ruhige Minute“)

G

Geheimnis au Chocolat

Unglaublich: Heute haben wir ein ausgewechseltes Baby. Die Kleine liegt entspannt in ihrem Bettchen und schläft. Trinkt zufrieden und schläft weiter. Wacht auf und lächelt uns an. Wie gut das tut!

Vielleicht ist das ihr Geburtstagsgeschenk an ihren Vater.

Mein Geschenk: Ich habe den gestrigen Tag in der Küche verbracht und für meinen Mann ein besonderes Essen vorbereitet. Seinen Lieblingskuchen gebacken. Und weil er immer wieder angemerkt hat, dass man in Schweden einfach kein vernünftiges Mousse au Chocolat bekommt, habe ich selbst welches gemacht. Mit Hilfe eines glänzend gelaunten 2-Jährigen.

Dann habe ich alle verräterischen Spuren der Koch- und Backorgie beseitigt, alle Schüsseln gespült, zuletzt dem Sohn den Schokoladenmund abgewaschen und die Küche gelüftet. Mein Geheimnis war tadellos geheim.

Kurz darauf beim Abendessen: „Papa, morgen hast du Deburtstag! Da dibt’s Tuchen!“

Ich tue so, als hätte ich nichts gehört. Volker ist so höflich und tut dasselbe. Vielleicht lässt unser Sohn das Thema von selbst fallen.

„Apfeltuchen!“

Na gut, denke ich, vermutlich hat Volker ohnehin damit gerechnet. Zumindest ahnt er nichts von meinem Spezial-Dessert…

„Und ßodoladen-Mousse!“

Und dann freut er sich wie ein Schneekönig, dass es ihm gelungen ist, Mama und Papa ordentlich zum Lachen zu bringen.

Happy Birthday, Vater Abraham!

G

Barmherzigkeit

Auf „Abrahams-Inn“ ist nichts los. Wer jetzt denkt, dass Mutter und Vater Abraham mit einer Tasse Tee im Kerzenschein sitzen und gedankenverloren zum Fenster in den glitzernden Schnee hinausschauen, liegt falsch. Mit der Ruhe ist es vorbei, der Schnee ist geschmolzen und Kerzen werden schon aus Prinzip nicht mehr angezündet. Ich weiß nie, ob ich in den nächsten Stunden wieder an der Kerze vorbei komme. Oder in einer Endlosschleife zwischen Wickeltisch und Stillsessel  lande.

Linnea ist jetzt 5 Wochen alt, hat anderthalb Kilo zugenommen, ist 5 cm gewachsen und entwickelt sich richtig gut. Aus den allerkleinsten Babysachen ist sie schon rausgewachsen, und ich freue mich, zu sehen, wie sie langsam in die ersten Geschenke reinwächst.

Leider hat sie sehr oft Bauchschmerzen und weint viel und lange. Ich muss all meinen Erfindungsgeist aktivieren, um dann herauszufinden, was ihr hilft. Herumtragen im Tragetuch? In Bauchlage schaukeln? Bauch massieren? Oder einfach trösten und liebhaben?

Gestern habe ich ihr ein Mobilé gebaut. Das lenkt sie ab und sie schaut fasziniert zu, wie es sich dreht und in den Sonnenstrahlen glitzert. Die wunderschöne Papierkunst – eigentlich für den Weihnachtsbaum gedacht – habe ich vor einigen Jahren von meiner lieben Trauzeugin geschenkt bekommen.

 

Vor lauter Bauchschmerzen und Geschrei bleibt keine ruhige Minute für andere Dinge. Der Große, der Ehemann, der Haushalt, Essen, Schlafen – alles kommt zu kurz. Volker schleicht morgens gegen sieben aus dem Haus und kommt 12 Stunden später wieder. Nach dem Abendessen arbeitet er im Keller am Laptop weiter.

Das Chaos nimmt zu. Meine Resilienz nimmt ab. Ich bin müde, will meinen funktionierenden Haushalt wieder, wünsche mir Ruhe, um mich zu organisieren, werde dünnhäutig, reizbar.

Da entdecke ich heute einen Bibelvers, der mich ganz persönlich anspricht: „Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.“ (Psalm 103,8)

Mir fällt ein Lied ein, das diesen Vers aufgreift. „Barmherzig, geduldig und gnädig ist er; viel mehr, als ein Vater es kann…“ – Ich habe dieses Lied nie gemocht. Es schien mir unfair meinem eigenen Vater gegenüber, der bei diesem Lied im Vergleich schlecht wegkommt. (Mein Vater ist nämlich ein sehr barmherziger, geduldiger und gnädiger Mensch.)

Heute beginne ich das Lied zum ersten Mal zu verstehen. Ich selbst bin zurzeit oft so unbarmherzig. Ungeduldig. Ungnädig.

Heute setze ich in dieses Lied mich selbst ein. „Barmherzig, geduldig und gnädig ist Gott, viel mehr als ich es kann.“ Da freue ich mich über Gott, der so barmherzig ist. Auch mit mir.

Als später am Abend das Essen im Ofen in Flammen aufgeht, die Kleine schreit und der Große vor Wut seine Autos auf den Küchenboden schmeißt, da gelingt es mir, die Nerven zu behalten, und ich fange einfach an zu singen: „Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn, er hat dir viel Gutes getan. Barmherzig, geduldig und gnädig ist er…“

Da kann ich inmitten des Chaos’ den zornigen Großen in den Arm nehmen. Die Kleine hört auf zu Weinen. Das Essen kommt halt verbrannt auf den Tisch. Haute Cuisine ist heute nicht dran. Mein Lehrmeister will mir heute was anderes beibringen, glaube ich.

G

Heimatgefühle

Zwei Wochen Deutschland gehen zuende. Bald steigen wir wieder in den Flieger Richtung Norden. Wir gehen nicht ohne Wehmut. Deutschland, deine Bäckereien! Deine Sonnenstunden! Deine Sprache, die uns so leicht über die Lippen geht! Vor allem: all die lieben Menschen hier, die wir am liebsten im Koffer durch den Zoll schmuggeln und mitnehmen würden!

Stattdessen haben wir Schwarzbrot, Grafschafter Goldsaft (Sirup) und Mandelmus im Gepäck. Deutschland, dein Mandelmus!

G