Oh Tannenbaum

Letztes Jahr sind wir zu Heiligabend nach hause geflogen, nach hause nach Deutschland. Ein Jahr später feiern wir zuhause in Schweden.

In den letzten Tagen hat sich heimlich, fast unmerklich, eine weihnachtliche Vorfreude bei uns eingeschlichen. Pfefferkuchenduft und Geschenkpapier, die letzten Adventskalender-Türchen, und draußen der Schnee… ich ertappe mich dabei, wie ich beim Abwaschen Weihnachtslieder vor mich hinsumme.

Vater Abraham hat diese Woche seine Mitarbeiter zu uns nach hause eingeladen. Ich fand das eine schöne Geste und habe nicht nur deutsche Plätchen gebacken, sondern auch alle sichtbaren Zimmer im Erdgeschoss aufgeräumt, die Böden geputzt, die Spiegel von Kinderfingerabdrücken befreit. So sauber war es hier seit dem Einzug nicht mehr. Zumindest im Erdgeschoss, versteht sich.

Es wird unser erstes Weihnachtsfest als Familie in unserem eigenen Zuhause. Wir überlegen: Wie wollen wir es gestalten? Welche Traditionen wollen wir pflegen, neu begründen?

Und wollen wir einen Weihnachtsbaum? Mein Mann ist pragmatisch: „Wir fliegen am 1. Weihnachstag nach Deutschland, wir brauchen keinen Weihnachtsbaum.“ Ich bin vernünftig: „Na gut.“

Aber aller Vernunft zum Trotz: Es wäre ja doch schön, mit Weihnachtsbaum. Man könnte die Päckchen, die aus Deutschland gekommen sind, darunter drapieren… und überhaupt, wie sollen wir um den Weihnachtsbaum tanzen, wenn wir keinen haben?

Dann passieren unerwartet zwei Dinge. Erstens: Die Sonne scheint, zum ersten Mal seit 4 Wochen. Zweitens: Der Kindergarten bleibt wegen Magengrippe geschlossen.

Ich lasse die Hausarbeit liegen und lade die Kinder und den Schlitten ins Auto, fahre raus aus der Stadt, rein in die Natur. Verfahre mich bald und biege irgendwo in einen Waldweg ein. Ich will spazierengehen, Licht tanken. In dem  Wald, in dem wir gelandet sind, ist es zwar schattig, aber dafür finde ich etwas anderes…

Unser Sohn, der normalerweise jedes Geheimnis brühwarm verrät, erzählt am Abend dem Vater eine abstruse Geschichte, dass man Weihnachtsbäume im Wald einfach abreißen könne, und ich sehe mit Erleichterung, dass mein Mann kein Wort versteht und bald nur noch mit halbem Ohr zuhört. Obwohl der Dreijährige alles genau beschreibt.

Im Wald ist eine Anzahl meterhoher Fichten gefällt und zu gewaltigen Holzstapeln aufgeschichtet worden. Die Äste liegen als Abfall auf Stapeln im Wald. Aus einem dieser Stapel ragt die Spitze einer Fichte heraus. Krumm und schief, mit wenigen dünnen Ästchen, aber mit etwas Phantasie: ein Weihnachtsbaum. Also klettere ich hoch und probiere, ob man die Spitze nicht… abreißen kann.

Mit Triumphgefühl kutschiere ich unseren 80 cm hohen Baum nach Hause.
Bloß haben wir keinen Weihnachtsbaumständer.

Second-Hand-Geschäft Nummer zwei hat noch einen einzigen, schon um 50% reduziert, er kostet noch 12 Kronen, etwas mehr als einen Euro. Gekauft.

Am Abend schmücke ich in aller Heimlichkeit das an Mickrigkeit nicht zu überbietende Bäumchen. Ich fädele Sterne aus Zeitungspapier auf und hänge sie als Kette über die kräftig harzenden Zweige. Eine Lichterkette. Ein paar rote Schleifen aus dicker Wolle.

Mein erster eigener Weihnachtsbaum ist klein und schief und erinnert entfernt an ein sinkendes Schiff, aber er und ich wissen, dass er mal die Spitze einer bestimmt 30  Meter hohen Tanne war.

Und mit dieser Vorfreude lege ich mich am 23. Dezember schlafen. Ich freue mich auf Heiligabend.

Ihr Lieben, wir wünschen Euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest.

G

P.S. Fortsetzung folgt!

 

 

Pfefferkuchen

„Drei Tage vor Weihnachten backten wir Pfefferkuchen. Dabei ging es fast so lustig und fröhlich zu wie am Weihnachtsabend. Das war ein Geruch von Pfefferkuchen in ganz Bullerbü an diesem Tag!“

(aus: Astrid Lindgren, Weihnachten in Bullerbü)

An einem dieser dunklen Winternachmittage backen Vater und Sohn Abraham das traditionelle schwedische Weihnachtsgebäck: Pfefferkuchen. Ich habe einen großen Klumpen Teig gemacht, mit ordentlich viel Zimt, Kardamon, Nelken und Ingwer und einer Prise Pfeffer.

Die Jungs stechen aus, und Blech um Blech wandert in den Ofen. Oh ja, der Duft von Pfefferkuchen ist sensationell.

Ein Pfefferkuchenmann ist zerbrochen. – Macht nichts!

Und mein kleiner Haushaltsgehilfe hat das Abwaschen für sich entdeckt.

Später sitzen wir dann zusammen am Adventskranz und probieren unsere Pfefferkuchen.
Ja. Köstlich.

G

 

Dunkelheit

In den letzten Wochen habe ich die Zeitschaltuhr unserer Außenbeleuchtung jede Woche um eine halbe Stunde vorgestellt. Jeden Tag weniger Licht. Zurzeit ist es 18 Stunden dunkel und nur noch 6 Stunden hell. Nein, „hell“ ist eigentlich nicht das richtige Wort. Es ist grau, dämmrig und trübselig.

„Linnés Kammare“, ein Gehöft nördlich von Uppsala. Halb drei.

Letztes Jahr habe ich die Dunkelheit staunend und gruselnd ertragen. Dieses Jahr fühlt es sich an manchen Tagen an, als käme sie von innen. Die Kleine weint mehr, der Große zankt mehr, ich bin antriebslos und reizbar.

Der ABBA-Sänger Benny Andersson hat in einem Interview der ZEIT gesagt: „Wir haben wenig Sonne in unserem Land, und die Dunkelheit hält lange an, das schlägt sich auch in der Kunst nieder. Wer einen Winter in Schweden verbracht hat, weiß, was ich meine. Euphorisch wird man da nicht. Mich hat das auch beeinflusst.“

Vor einigen Jahren gab es eine Teesorte in Deutschland, die ich gern mochte: „Momente der Melancholie“. Die Sorte wurde schnell wieder eingestellt. Hier in Schweden aber ist der Geschmack von Melancholie überall erhältlich.

In zwei Wochen ist Wintersonnwende. Also noch vier Wochen, bis zum ersten Mal wieder ein Tag 5 Minuten mehr Licht hat als heute.

G

 

Das große Adventskonzert

Fröjda dig, det är Advent“ – „Freue dich, es ist Advent!“

Ich weiß noch, wie ich letztes Jahr im großen Adventskonzert saß,  noch neu im Lande, noch fremd in der Kirchengemeinde. Wie überraschend übervoll die Kirche war; wie überwältigend gut der Chor, und wie ich dachte: „Jetzt wird es wahrhaft Advent. Wie schön, dass ausgerechnet in dieser Zeit mein Kind zur Welt kommen wird.“ Eine Woche später kam es tatsächlich.

Mittlerweile gehören wir dazu. Man kennt uns in der Gemeinde. Und: Ich gehöre zum Chor!

Dieses Jahr habe ich keinen Babybauch dabei, sondern zwei quirlige Kleinkinder und eine Babysitterin. Mein Mann ist auch mitgekommen, ich sehe ihn von meinem Platz aus im Publikum sitzen.

Und noch jemand ist heute dabei: meine schwedische Freundin Elinor. Sie ist ja von Beruf Violinistin und spielt heute die erste Geige.

Ich sitze im schwarzen Kleid mit rotem Schal zwischen den Altstimmen und bin aufgeregt. Abend für Abend habe ich zuhause mithilfe von Youtube die Lieder geübt. Fast hat es sich angefühlt, als würde ich einen Theatertext lernen, mitsamt Aussprache, Betonung und Rhythmus. Denn was die Schweden mühelos auswendig singen, ist für mich noch so ungewohnt. Nur ein einziges Lied kannte ich schon vorher: Dotter Sion.

Die Kirche füllt sich. Das Konzert beginnt. Nun setzt das Orchester ein, der Chor kommt dazu, die Orgel, die Trompeten, die klare erste Geige. In der Kirche breiten sich die Harmonien aus wie ein Lichtschein. Auf dem Gesicht unseres ernsten Dirigenten sehe ich ein Lächeln, ein wortloses „Gut gemacht“.

Bei manchen Liedern sind die Texte im Liedblatt abgedruckt und die gesamte Gemeinde singt mit, sicher 800 Stimmen kommen hinzu, ein unglaublicher Klang, und ich bin so stolz, dabei sein zu dürfen.

Sogar die Kinder machen mit: Meine zwei und Elinors vier spielen im Kinderraum und kämpfen gemeinsam gegen die Müdigkeit an.

Heute, am 1. Advent, teile ich mit Euch zwei meiner Lieblingslieder des Konzertes. Nicht von unserem Chor, aber ihr kriegt einen Eindruck.

„Bereden väg för herran – Bereitet dem Herrn den Weg!“

Euch allen einen gesegneten 1. Advent.

Eure Abrahams

G