Die Oma ist da

Das Wettrennen hat eine Siegerin: Gestern ist die Oma bei uns eingetroffen! Ich bin so erleichtert. Meine größte Sorge war nicht die nahende Geburt, sondern dass der große Bruder nicht versorgt sein könnte. Nun ist er in besten Händen.

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Wir feiern den 1. Advent. Draußen heult ein heftiger Schneesturm, die Fensterscheiben klirren, Volker kommt durchgefroren vom Joggen nach hause. Richard ist erkältet und fiebert.

Ich drapiere Nürnberger Lebkuchen und schwedische Pfefferkuchen auf einem Teller, wir trinken Tee und setzen uns  um den Adventskranz. Den hat meine Mutter gestern Abend für uns gebunden, aus Kieferngrün, das ich beim Spazierengehen in den nahen Wäldern abgeschnitten habe.

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Der 1. Advent ist einer der höchsten Feiertage in Schweden, ein Tag voller Musik. Die Kirche ist bis zum letzten Platz besetzt und angefüllt mit Klang: Die vielstimmige Gemeinde, ein Bläser-Ensemble, die Orgel mit allen Registern, und über alledem jubelt ein großer, herrlicher Kirchenchor „Hosianna!“ So in etwa stelle ich mir die Musik im Himmel vor.

Ich bin dankbar, die Weihnachtszeit in Schweden erleben zu dürfen. In der langen, kalten, bedrückenden Dunkelheit leuchten in allen Fenstern Kerzen.

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Wir wünscht Euch allen einen gesegneten 1. Advent!

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… und?

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Noch 2 Wochen, alles ist ruhig. Das Baby ist nun so groß, dass es kaum noch Platz für Bewegungen hat. Es schläft fast die ganze Zeit und lässt auch mich wieder besser schlafen.

Ein ganzes Kilo nimmt das Kind in den letzten 4 Wochen zu. Ich finde das erstaunlich. Nicht, dass es mir selbst nicht leicht fallen würde, innerhalb eines Monats ein Kilo zuzunehmen – locker! Zumal wenn die Adventszeit vor der Tür steht. Aber hochgerechnet auf das Ausgangsgewicht des Kindes müsste ich, um vergleichbar zuzunehmen, über 20 kg zulegen. Wahnsinn.

Alle zwei Wochen gehe ich zur Hebamme. Die ist mit mir zufrieden. Also bin ich es auch.

Ich amüsiere mich über die Unterschiede in der Schwangeren-Vorsorge zwischen Deutschland und Schweden. Zunächst einmal: Hier geht man nicht zum Frauenarzt, sondern zur Hebamme. Und zwar in deutlich selteneren Abständen als in Deutschland, v.a. wenn es nicht das erste Kind ist.

Statt viel Diagnostik überwiegt hier das Gespräch, die Beratung. Jeder Besuch bei ihr endet mit den Worten: „Hast du noch Fragen? Wir haben Zeit.“

In Deutschland wurde ich gegen Ende meiner ersten Schwangerschaft immer hochfrequenter einbestellt, immer genauer und ausführlicher auf Anzeichen einer beginnenden Geburt untersucht. Gewichtszunahme, Blutdruck, Hämoglobin? Muttermund? PH-Wert okay? Fruchtwassermenge? Wie viele Wehen pro halber Stunde?

Hier in Schweden nimmt meine Hebamme ein hölzernes Hörrohr zur Hand und hört den Herzschlag des Kindes ab.
„Es lebt“.
Dann nimmt sie ein Maßband und vermisst meinen Bauch.
„Es wächst.“
Mein Blutdruck?
„Bestens.“

Fertig.

Keinerlei Untersuchung auf Anzeichen einer Frühgeburt. Stattdessen fragt mich die Hebamme:
„Und? Glaubst du, es kommt früher?“

Was soll ich da sagen? Keine Ahnung. Aber wenn ich mal alle Diagnostik außen vor lasse und mein Gefühl befrage, sage ich: Ich glaube, es kommt pünktlich. Genau wie sein Bruder. … und? weiterlesen

Beifahrer an Bord

Wie so häufig in diesen Tagen verlasse ich mein Büro mit einem schwarzen Köfferchen in der Hand. Es ist nichts Aufregendes drin, lediglich mein Firmenlaptop. Auch diesmal ist mein Plan, zu Hause etwas schöne Familienzeit mit Richard und Gesina zu verbringen, zu Abend zu essen, und dann, wenn alle anderen schlafen, noch eine zweite Schicht Arbeit von zu Hause aus zu absolvieren, bevor ich selbst ins Bett falle.  Ich steige ins Auto, lege das Köfferchen auf den Beifahrersitz und fahre los.

Mein schwedisches Premiumauto hat ein typisch schwedisches, eher zurückgenommenes Temperament (und übrigens mittlerweile Winterreifen). Ganz unaufdringlich fängt es nach wenigen hundert Metern an zu piepen. Ein angenehmes Piepen, man kann es fast als Entspannungsmusik einordnen. Auf der digitale Anzeige unter dem Lenkrad leuchtet in einem ansprechend satten Rot ein Lämpchen auf. Ich verbleibe in meinem Zwischenfeierabend-Trance und fahre weiter. Langsam wird das Piepen lauter und aufdringlicher. Mein Dienstauto zeigt plötzlich Temperament, eine gewisse Sturheit stellt sich ein. Was hat es nur? Es muss irgendwie mit dem Koffer zu tun haben, denke ich. Vielleicht will es mir eine tiefere Botschaft senden, so etwas wie „Es ist nicht gut für dich, deine Arbeit mit nach Hause zu nehmen.“ Ich überlege kurz, ob ich umkehren und den Laptop zurück ins Büro bringen soll. Das würde dem Auto bestimmt gefallen. Ich entscheide mich anders und schnalle das Köfferchen auf dem Beifahrersitz an. Das Piepen hört auf. Das rote Lämpchen geht aus. Na also, geht doch!

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Optimismus

Das ist Optimismus:

  1. Einen Termin bei der deutschen Botschaft in Stockholm für unsere Tochter zu buchen, um ihren Reisepass zu beantragen – ohne zu wissen, ob sie zu dem Termin a) schon geboren ist, b) wirklich eine Tochter ist und c) tatsächlich so heißen wird, wie ich das im Formular angegeben habe.
    Komisches Gefühl, als ich eine E-Mail für sie bekomme: „Sehr geehrte (…) Abraham, bitte finden Sie sich um 9:20 Uhr in der Botschaft ein.“
  2. Drei Wochen vor Geburtstermin noch ein kompliziertes Strickprojekt zu beginnen – einen Strampelanzug nach einem Strickmuster aus den 60er Jahren, gefunden in einem Strickbuch auf Norwegisch.
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  3. Weihnachten bei Oma und Opa in Deutschland zu planen, ohne zu wissen, ob wir bis zum 24.12. wirklich Kind, Pass und Flug haben werden.

Zwei Dinge lernen und üben wir mehr als alles andere durch unser Auslands-Abenteuer:

  1. Vorausschauendes Planen
  2. Tiefenentspannung, wenn alles anders kommt.

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Der Schnee ist mittlerweile wieder weggetaut, aber mit diesen Fotos vom letzten Samstag grüßen wir Euch zum Wochenende!

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Übungswehen

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Der Countdown läuft. Noch 3 Wochen bis zum Geburtstermin. Das ist ein Grund zur Freude: Wenn das Kind jetzt geboren würde, gälte es nicht mehr als Frühgeburt.

Ich habe diesen Termin zum Anlass genommen, meinen „Klinikkoffer“ zu packen. Bequeme Klamotten, Kulturbeutel und zwei Garnituren winziger Babysachen warten nun auf ihren Einsatz.

Auch die Babysitter für den großen Bruder sind organisiert. Am ersten Advent kommt Richards Oma und wird für 2 Wochen bei uns wohnen. Wir haben dem Baby mitgeteilt, dass wir es schön fänden, wenn es genau in diesem Zeitfenster käme.

Aber natürlich haben wir auch einen Plan B. (Und C und D.) Sandra und Felix, unsere Freunde aus der Kirchengemeinde, haben angeboten, Richard nachts zu nehmen, falls das Baby früher kommen sollte. Für tagsüber hat sich eine nette Frau aus der Krabbelgruppe zur Verfügung gestellt. Sie hat selbst 4 kleine Kinder, würde aber auch noch auf ein fünftes aufpassen. Wir sind dankbar, dass wir innerhalb von 8 Wochen gleich zwei Familien kennen gelernt haben, die uns so bereitwillig unterstützen wollen. Und falls wider Erwarten alle Babysitter ausfallen, könnte Volker natürlich auch selbst mit unserem Großen zuhause bleiben.

Ich merke, wie bei mir die Aufregung steigt. Mein Bauch ist riesig geworden. Wenn ich in die Hocke gehe, muss ich mich irgendwo festhalten, um wieder hoch zu kommen. Alles, was ich tue, geschieht  in Zeitlupe. (Sogar das Denken.) Das Baby ist jetzt ca. 47 cm groß und geschätzt knapp 3 kg schwer. Wenn es strampelt, kann ich seine Hände, Knie und Füße so deutlich spüren, als wäre es schon bei uns.

Heute habe ich auch die ersten Senkwehen gespürt. Die sind neu für mich: Bei Richard hatte ich die erste erkennbare Wehe an dem Tag, an dem er letztlich geboren wurde. Beim zweiten Kind spüre ich viel deutlicher und viel früher die (völlig normalen) Senkwehen. Sie sollen das Baby langsam in Startposition bringen, ohne dass sie zur Geburt führen. Ich muss mich mit aller Willenskraft daran erinnern, dass ich höchstwahrscheinlich noch 3-5 Wochen Zeit habe, bis es losgeht. Ich bin einfach schon so gespannt!

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Um mich abzulenken, haben Richard und ich gegen 15 Uhr, kurz vor Einbruch der Dunkelheit 🙂 noch einen Schneemann gebaut.

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Mutterschutz

In meine Hausfrauen-Routine ist das Schneeschippen eingezogen. Bis zu vier Mal täglich. Nicht gerade ideal im 9. Monat, aber es macht mir Spaß. Wie viel schöner ist „Dauerschnee“ verglichen mit „Dauerregen“.

img_6112So viel Schnee wie in den letzten drei Tagen hatten wir in Frankfurt den ganzen letzten Winter nicht.

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Die letzten 4 Wochen der Schwangerschaft sind angebrochen, ich bin im Mutterschutz. Im Vergleich zu der Arbeit meines Mannes ist meine ein Klacks. Ich habe es hier so ruhig. Wenn ich mit dem Haushalt fertig bin, setze ich mich oft zu Richard ins Kinderzimmer und stricke. Und abends kann ich mich an die Nähmaschine setzen.

Richard braucht dringend warme Klamotten, also sind meine ersten Projekte:

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eine gefütterte Hose mit verstärkten Knien…

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… und ein warmer Pullunder zum Drüberziehen.

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Wer Volker schon länger kennt, erkennt den Stoff vielleicht wieder – der Original-Pullover wurde beim Umzug aussortiert und landete in meiner Stoffkiste.

Die Windmühle („Windelmühle“) hat Richards Opa gebaut.

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Sommerreifen, geschlossene Schneedecke

Vor einigen Tagen habe ich einen Dienstwagen bekommen – ein schwedisches Premiumgefährt. Ich wollte gar nicht unbedingt einen Dienstwagen haben, aber das gehört hier wohl so zu dieser Arbeitsstelle dazu. Es ist ein ziemliches Prestigeobjekt. Alles glänzt und macht einen gehobenen Eindruck. Ist bestimmt dreimal soviel wert wie mein mittlerweile etwas verbrauchter, jedoch vertrauter Audi.

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Mein schwedischer Dienstwagen wurde mir auf Sommerreifen übergeben, dazu ein Zettel mit einer Telefonnummer, wo ich jemanden wegen der dazugehörigen Winterreifen erreichen könne. Am Tag nach der Übergabe des Luxusgefährts hat es angefangen, unaufhörlich zu schneien. Jeden Morgen bin ich nun auf geschlossener Schneedecke unterwegs, um zur Arbeit zu kommen. Die Fahrt dauert länger, es ist schwieriger und anstrengender. Das Wort „Fahrt“ passt eigentlich gar nicht, es ist vielmehr ein mehr oder weniger kontrolliertes Rutschen; eine Prise Schleudern und Durchdrehen ist auch mit dabei. Ich komme gar nicht dazu, die vermeintlichen Vorzüge des Fahrzeugs zu genießen. Hinzu kommt, dass weder die Zeichen auf der Fahrbahn noch die Straßenschilder gut zu erkennen sind. Es ist nicht immer klar, wo es eigentlich langgeht. Manchmal verfahre ich mich.

Diese Beschreibung trifft auch auf meinen schwedischen Arbeitsalltag zu. Auch hier ist die „Fahrt“ anstrengend, aufreibend, langwierig und weit davon entfernt, wohl dosiert und kontrolliert zu sein. Auch nimmt sie für meinen Geschmack zurzeit zu viel Zeit, zu viel Platz in meinem Leben ein. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich  die passende „Bereifung“ für die vorherrschenden Straßenverhältnisse in meiner Arbeitsstelle habe. Außerdem fehlt mir die Ortskenntnis.

Seit Tagen versuche ich, jemanden unter der Nummer auf dem Winterreifen-Zettel zu erreichen – bisher ohne Erfolg. Wo und wann ich die nötigen Werkzeuge für meine Arbeitssituation finden werde, um aus dem Schleudern, Rutschen und machmal Durchdrehen rauszukommen, ist mir ebenfalls unklar.

Beides wird sich jedoch finden, auch wenn es bei den „Reifen“ für meine Arbeitsstelle vermutlich eher ein Prozess wird, nicht eine einmalige Wechsel-Aktion.

Und dann, früher oder später (beides kann ich mir vorstellen), werde ich das schwedische Auto wieder abgeben und zurück in ein etwas vertrauteres „Gefährt“ steigen. Dann werde ich wieder in gewohnten Straßenverhältnissen unterwegs sein. Allerdings: Ich werde dann, wenn ich mal wieder ins Schleudern gerate – z.B. aufgrund eines unerwarteten Wetterumschwungs – auf die Erfahrungen zurückgreifen können, die ich hier und heute mache. Und genau deswegen mache ich das, was ich gerade mache. Ich bin unterwegs in einem schwedischen Auto mit Sommerreifen auf geschlossener Schneedecke.

V.

„Es schneidet!“

In dieser Woche ist bei uns der erste Schnee gefallen. Ein Hauch Puderzucker, der die Sonnenstrahlen reflektiert und uns nach draußen lockt.

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Anfang der Woche war nicht nur Reformationstag, sondern auch Halloween. Wir sind ja keine Freunde dieses Festes und waren froh, dass nur eine einzige Gruppe von schauerlich verkleideten Kindern an unsere Tür kam und nach Süßigkeiten fragte. Aber wir hatten uns zu früh gefreut: Vier Tage später kam die nächste Gruppe. Und erklärte höflich: In Schweden sammeln die Kinder Montags und Freitags. Doppelte Ausbeute!

An diesem Wochenende wird schon wieder ordentlich gefeiert, und zwar Allerheiligen. Mich wundert, dass im protestantisch-säkularen Schweden ein katholischer Feiertag solch hohe Bedeutung hat. Ich frage nach und erfahre:

Allerheiligen fällt in Schweden nicht auf den 1.11., sondern immer auf einen Samstag in der 44. Kalenderwoche. An diesem Wochenende versammeln sich die Familien, erwachsene Kinder fahren heim zu den Eltern und man isst in großer Runde ein festliches Essen. Am Samstag geht die ganze Familie auf den Friedhof, denkt an die im letzten Jahr Verstorbenen und zündet Kerzen auf den Gräbern an. Für mich klingt das verdächtig nach „Ewigkeitssonntag“, der in Deutschland am letzten Sonntag vorm Advent gefeiert wird.

Hier in Schweden gehen sogar die Kinder mit zum Friedhof. Wenngleich ich den Verdacht habe, dass diese hauptsächlich hoffen, dort „Pokémons“ zu finden. Jedenfalls starren sie wie gebannt auf ihre Smartphones. Aber immerhin, sie gehen mit.

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November Rain

Ich sitze in meinem Büro und schaue auf die Uhr. Kurz vor vier. Den ganzen Tag regnet es wie aus Eimern. Das Thermometer behauptet, es wären +2 Grad Celsius. Ich halte das für ein Gerücht, es fühlt sich noch kälter an.

Heute ist spürbar der erste November 2016. Vor diesem Monat haben mich meine schwedischen Kollegen gewarnt. Draußen ist es stockdunkel. Ist es wirklich erst 16 Uhr? Ich gehe reihum in die Büros meiner Mitarbeiter und werfe prüfende Blicke in ihre Gesichter. Mein Eindruck erhärtet sich; es muss mindestens drei Stunden später sein. Bald darauf verlassen die Mitarbeiter einer nach dem anderen das sinkende Schiff, um nach Hause zu gehen und sich schlafen zu legen. Ich kann es ihnen nicht verübeln.

Morgen früh geht es ja schon weiter mit der Arbeit. Direkt bei Sonnenaufgang!

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