„Stille“ Nacht

Ich frage mich, wie jemand die  Geschichte eines neugeborenen Kindes ernsthaft mit „Stille Nacht“ betiteln konnte…

„Schlaf in himmlischer Ruh“ ist Wunschdenken.

„Einmal werden wir noch wach“ ist Illusion.

Müde, von Chaos umgeben, mit einem von Bauchschmerzen geplagten Neugeborenen und einem 2-Jährigen, der sich mit Recht zu wenig beachtet fühlt, ringe ich um Fassung und Konzentration, um bei Kofferpacken nicht die Hälfte zu vergessen.

Die kürzesten Tage des Jahres. Die Sonne geht um 9 Uhr auf und um 14.50 Uhr unter. Sie steht so tief am Himmel, dass sie nur für eine gute Stunde überhaupt über die Häuser und Baumwipfel hinweg steigt.

In dieser Stunde packe ich die Kleine ins Tragetuch und den Großen in den Buggy; so beladen laufen wir im flüchtigen Sonnenlicht zum ICA, unserem schwedischen Tante-Emma-Laden. Die Schatten sind meterlang. Auf dem Rückweg knabbern wir Pfefferkuchen und treffen eine Frau aus der Krabbelgruppe, die uns „God Jul“ wünscht, Frohe Weihnachten.

Dieses Jahr wird Weihnachten nicht wie „alle Jahre wieder“. Aber ich möchte es nicht anders haben. Das größte Geschenk kam diesmal schon 2 Wochen vor Heiligabend.

 G

Von Booten, Botschaft und deutscher Pünktlichkeit

Knapp eine Woche nach Linneas Geburt ist es Zeit für ein erstes Abenteuer. Richard ist bereits am Vorabend aufgeregt und sagt beim Abendessen: „Wir fahren in die grooooße Stadt Stockholm“, er zeichnet bei dem Wort „groooße“ einen Kreis mit seinen Händen in die Luft. Recht hat er: Wir wollen über Weihnachten nach Deutschland, mit dem Flugzeug, und dafür brauchen wir für Linnea ein Ausweisdokument.

Mit dem dafür nötigen offiziellen Papierkram, einem biometrischen Passfoto unserer neugeborenen Tochter und ausreichend Reiseproviant geht es morgens vor Sonnenaufgang los, nachdem Richard und ich, mittlerweile Profis, unser Auto von Schnee, Eis und Eisblumen befreit haben.

Unser Ziel: Die Deutsche Botschaft in Stockholm. Und zwar pünktlich um 9.20 Uhr, sonst wird das nichts mit dem Fliegen. Während der Fahrt brechen langsam die ersten rosafarbenen Lichtstrahlen durch den weiten, schneeschwangeren  Himmel, unsere Straße wird flankiert von endlosen weißen Nadelbäumen. Die beiden Kinder auf der Rücksitzbank machen sich prächtig. Linnea schläft, Richard singt, wir Eltern können uns synchronisieren.

Das Navi führt uns einmal komplett durch Stockholm durch. Die ganze Stadt leuchtet in weihnachtlichem Festgewand. Nur der Berufsverkehr stört etwas, denn: Wir müssen ja pünktlich sein. Wo, wenn nicht bei der Deutschen Botschaft!

Copyright: Henrik Trygg

Stockholm liegt auf 14 Inseln und besteht zu 30% aus Wasser. Links und rechts sehen wir Häfen und Boote, Richard ist begeistert. Als aktueller Fan von Doppeldeckerbussen faszinieren ihn besonders die zweistöckigen Boote, Doppeldeckerboote eben. Aber unser Ziel ist ja die Botschaft, nicht die Boote.

Stau. Und nur noch 20 Minuten bis zu unserem Termin. Gesina betet lautlos. Kurz darauf fangen die Glocken an zu läuten. Irgendwie werde ich von einem tiefen Vertrauen durchdrungen, dass wir es schaffen werden und kann den ein oder anderen Blick nach links und rechts in die weihnachtlich-funkelnden Gassen genießen, während der Verkehr im Schritttempo vorangeht.

Bald darauf biegen wir ins neu erbaute, steril-kühle Botschaftsviertel ein. Beschilderung ist Fehlanzeige, alles eher inkognito. Wir passieren die Hausnummer, an der die Deutsche Botschaft sein soll. Auf dem Dach des weißgrauen Kastens weht eine weiße Flagge mit einem großen roten Punkt in der Mitte.  Sollte sich Deutschland in den letzten drei Monaten so sehr verändert haben?

Dann, zur linken Hand, ein kleiner Parkplatz. Ein kleines Schild sagt in kleiner Schriftgröße „Nur für Gäste der Deutschen Botschaft“. Klasse, das sind wir; zumindest unser Auto hat seinen Platz gefunden.

Jetzt zu Fuß, zwei Kinder auf dem Arm, geht es weiter auf der Suche nach der Botschaft. Endlich finden wir sie. In einer Sicherheitsschleuse müssen wir alle Habseligkeiten bis auf Kinder und Dokumente in ein zu kleines Schließfach quetschen. Alles ist vergittert, die schweren Türen bewegen sich nur langsam, das Personal versteckt sich hinter Panzerglas und kommuniziert nur über Gegensprechanlage. Eine Woche nach der Geburt befinden wir uns schon wieder in einer Art Isolierstation. Durch einen Metalldetektor hindurch, auf zum nächsten Gebäudetrakt. Ein Blick auf die Uhr: Es ist Punkt 9.20 Uhr. Wir sind da! Alle Papiere stimmen, die Fotos sind biometrisch genug, Unterschrift hier, Stempel da, Bezahlen dort – und fertig. Geschafft!

Ich bin froh und dankbar über dieses Erfolgserlebnis mit meiner kleinen Familie, mache meiner Frau und meinen beiden Kindern im Geiste ein Riesenkompliment und freue mich auf einen schönen Mittag in einem netten Café oder Restaurant im weinachtlichen Stockholm.

Blick in unseren Garten

Heiligabend fliegen wir nach Hause, nach Deutschland. Gut, dass wir schon heute Gelegenheit hatten, die deutsche Pünktlichkeit wieder einzuüben 😉

V.

 

Ein Stückchen Advent

Zu zweit essen Richard und ich Salzstangen am Adventskranz. Drei Kerzen brennen und verbreiten ein warmes Licht.

Zu zweit sitzen Gesina und Linnea am Fenster und lernen sich im Schein der kleinen Leselampe kennen.

Zu viert erleben wir einen Moment besinnlicher Adventstimmung und merken, dass es uns guttut.

Wir wünschen Euch allen einen gesegneten 3. Advent!

V

Geburt mit Astronauten

Rückschau: 6. Dezember. Nichts bringt einen so schnell von 100 auf 0 wie eine Magengrippe. Erst recht, wenn man gleichzeitig hochschwanger ist. Es ist nicht schön, mit riesigem Bauch zum Bad zu rennen. Oder schlapp im Bett zu liegen, während ein ausgewachsenes Baby gegen den schmerzenden Magen tritt. Ich dämmere dahin und hoffe nur, dass ich keine Wehen bekomme. Um nichts in der Welt fühle ich mich heute gewappnet für die meiner Erfahrung nach anstrengendste Aufgabe des Lebens.

Es ist ein Segen, dass meine Mutter bei uns ist, uns den Haushalt schmeißt und mich mit Tee versorgt. Nebenbei backt sie hingebungsvoll mit unserem 2-Jährigen Plätzchen. Ich höre von meinem Krankenlager aus ihre Unterhaltung: „Wo passt denn noch ein Mond hin?“ – „Da!“ – „Genau!“ Dann singt eine Kinderstimme: „Der Mond ist aufdedangen…“

Ich gebe die Begriffe „Entbindungstermin“ und „Magengrippe“ in eine Suchmaschine ein und finde unzählige beruhigende Foren-Einträge: „Wenn die Mutter richtig krank ist, wartet das Baby.“ Und: „Dein Körper weiß, wann Du genug Kraft hast.“

Aber gegen 17 Uhr – ich habe den Tag längst abgeschrieben – fängt die Geburt an. Volker lässt bei meinem Anruf den Stift fallen und kommt sofort von der Arbeit nach hause. Ich trinke schluckweise Cola gegen die Unterzuckerung. Wir beten zusammen. Und dann geht’s ab ins Krankenhaus.

Dort bin ich als Magengrippe-Patientin angemeldet und komme nicht in einen normalen Kreißsaal, sondern auf die Isolier-Station. Die Hebamme und Krankenschwester, die zu uns kommen, sind bis zur Unkenntlichkeit mit Schutzanzügen, Schutzbrillen und Atemschutzmasken bekleidet und sehen aus wie Astronauten.

Aber sie sind sehr, sehr nett. Sie trauen mir zu, dass ich auch krank und mit halber Kraft mein Kind zur Welt bringen kann. Und sie versprechen mir immer wieder, dass sie mir dabei helfen.

Endlich, endlich, in den frühen Morgenstunden des 7. Dezember, ist es geschafft: Wir halten eine gesunde Tochter in den Händen. Was für ein Wunder!

Wir schlafen ein paar wenige Stunden bis zum Morgen, fahren dann nach Hause. So beginnt unser neues Leben mit Linnea. Hier ein erster Schnappschuss, mit herzlichen Grüßen aus Uppsala:

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Wartesaal

Heute waren Volker und ich beide bei der Geburtsklinik – unabhängig voneinander. Volker ist morgens früh vor der Arbeit den Weg  abgefahren, für alle Fälle. Und ich habe mit unserem Großen den Nachmittag in der angrenzenden Kinderklinik verbracht.

Fazit: Wir finden da jetzt mit verbundenen Augen hin, wenn Kind Nr. 2 kommt.

Nr. 1 ist zum Glück wieder auf dem Weg der Besserung. Wohl nur ein Magen-Darm-Infekt. Wir sind erleichtert, es ging ihm wirklich schlecht und wir waren voll Sorge. Jetzt schläft er friedlich.

Morgen ist Nikolaustag und Geburtstermin. Nikolaustag findet hier in Schweden nicht statt. Geburtstermin – werden wir sehen. Mein Strickprojekt ist jedenfalls gerade noch pünktlich fertig geworden.

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Wir sind bereit.

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