Eiszeit

Als ich den Großen in den Kindergarten bringe, sagt es die Kindergärtnerin: „Heute gibt es einen Schneesturm.“ Kurz darauf wiederholt es die Krankenschwester beim Kinderarzt, diesmal mit einem vorfreudigen Funkeln in den Augen: „Ein Schneeeeeeesturm!“

Erst freue ich mich mit, dann frage ich mich: Sollte ich vielleicht noch schnell was einkaufen? – Ich mache das sicherheitshalber.

Einen Tag und eine sturmgeschüttelte Nacht später ist alles um uns herum weiß. Endlich! Die Welt wirkt so viel heller, wenn draußen Schnee liegt.

Am Wochenende fahren wir raus aus der Stadt, in ein hübsch gelegenes Naherholungsgebiet. Hier kann man  wandern und skifahren, es gibt Spielplätze und mittendrin einen riesigen, zugefrorenen See.

Man kann Schlittschuhe mieten; nicht solche, wie man sie aus Deutschland kennt, sondern Langlauf-Schlittschuhe mit flachen, langen Kufen. Darauf legt man ohne Kraftanstrengung in Windeseile erstaunliche Entfernungen zurück.

Einen ganzen Tag verbringen wir auf dem Eis. Der Große lässt sich rücklings in den Schnee fallen, wedelt mit Armen und Beinen und hinterlässt überall kleine Schnee-Engel. Und mit den Langlauf-Stöcken malt er ausdauernd Buchstaben in den Schnee.

Die Kleine übt wackelig das Stehen.Wir Eltern sausen Kreise drumherum wie Hütehunde um eine Schafherde.

Hinterher sitzen wir auf Rentierfellen an einem Feuerkorb, wärmen unsere eisigen Füße auf und verzehren unser Picknick.

Letztes Jahr haben wir vom Wintersport in Schweden kaum etwas mitbekommen. Dieses Jahr machen wir laienhaft mit, und merken, wie erholsam es ist, sich nach einer dunklen Arbeitswoche bei Tageslicht an der frischen Luft zu bewegen. Sonne hin oder her. 

G

Knut

„Stopp, Stopp!“, bringt Elinor ihre 4 Kinder zur Ruhe, die kichernd  und hopsend vor Vorfreude  schier zerplatzen. „Ich glaube, wir sollten Gesina und ihren Kindern erstmal erklären, was wir heute überhaupt feiern.“

In Elinors Wohnzimmer steht der Weihnachtsbaum, noch voll geschmückt, schon halb kahl genadelt. Zeit, die Weihnachtszeit zu beenden. Zeit, die Weihnachtsbaum-Plünderung zu feiern!

Der 13. Januar ist der Namenstag von Knut, weshalb das Fest im Volksmund auch so genannt wird. Kommt mir irgendwie bekannt vor aus der IKEA-Werbung. Was uns heute wohl erwartet…?

„Hopp-Fallera!“ Elinors Mann setzt sich ans Klavier, die Kinder nehmen sich an den Händen, Elinor singt, und wir alle tanzen durchs Wohnzimmer, um den tüchtig nadelnden Baum herum und durch die Küche.

Die frohe Weihnachtszeit ist aus, aus, aus,
den Weihnachtsbaum werfen wir raus, raus, raus!“

Eigentlich müssten wir nun den Baum durchs Haus tragen und in den Garten schmeißen. Wer in einer Uppsalaer Stadtwohnung wohnt, bringt den Baum stattdessen später ordnungsgemäß zur Müllverwertungsanlage.

Atemlos lassen wir uns auf die Küchenbank fallen, es gibt Kaffee und einen winzigen letzten Schluck Glühwein (Glögg) für die Erwachsenen, dazu werden die letzten Pfefferkuchen und Safran-Hefeschnecken (Lussekatter) aufgetischt. Und das prachtvolle Pfefferkuchenhaus.

Elinor holt die Suppenkelle. Das älteste Kind darf anfangen, lässt die Kelle auf das Dach sausen. Nacheinander darf jeder einmal zuhauen, am Ende ist von der Pracht nur noch ein Trümmerhaufen übrig. Dieser wird dann mit Vergnügen aufgefuttert, bis die Kinder hyperglykämisch durch die Wohnung toben. Zeit, sich zu verabschieden. Hejdå (Tschüß), Weihnachtszeit!

Wir freuen uns heimlich schon auf die nächste.

G

 

 

Heiligabend

Nun will ich Euch erzählen, wie wir Weihnachten gefeiert haben.

Der Tag beginnt mit diesem unfassbaren Farbenspiel, das ein klarer Wintermorgen in Schweden mit sich bringt. Wochenlang hatten wir eine geschlossene Wolkendecke. Ausgerechnet an Heiligabend reißt das Grau für ein paar Minuten auf, und wir können die Farben sehen.

Es wird unser erstes Weihnachtsfest als Familie, in unserem Zuhause.

Wir gehen am Vormittag zum Gottesdienst. Eigentlich geht man zur Mitternachtsmesse, aber dafür sind unsere Kinder einfach zu klein. Vormittags gibt’s ein Krippenspiel zum Mitmachen. Ein Hirte hat seine Schafe verloren, alle Kinder kommen nach vorne und helfen ihm beim Suchen. Und dann erzählt er, wie das war, als plötzlich mitten in der Nacht Engel erschienen, „Hosianna“ sangen, und von einem Kind in einer Futterkrippe erzählten.

Die Orgel spielt „Stilla natt, heliga natt“. Ausgerechnet. Wir singen auf Deutsch mit und fühlen wir uns sehr zuhause.

Unsere Kinder haben keine Erinnerungen an zurückliegende Weihnachten. Sie freuen sich, dass der Papa heute frei hat, und lassen sich von jeder Wendung dieses Tages überraschen.

Nach dem Mittagessen gehen wir raus, auf einen Waldspielplatz in der Nähe. Es dämmert bereits, wir tanken kaum Helligkeit, immerhin frische Luft.

Nach dem Spaziergang sind die Kinder müde. Wir auch. Einvernehmlich setzen wir uns ins Auto und fahren durch die verschneite Landschaft, bis die Kinder einschlafen. Schweigend fahren wir an Tannenwäldern und erleuchteten Schwedenhäusern vorbei. Legen unsere Kinder zuhause in ihre Betten und machen selbst einen Nachmittagsschlaf.

Es ist dunkel, als wir aufwachen. Ich hole meine Überraschung, die weihnachtliche Tannenspitze, ins Wohnzimmer, und die Geschenke, und zünde die Kerzen am Adventskranz an.

Das Leuchten in den Augen des Großen, als er ins Wohnzimmer kommt. „Ein Weihnachtsbaum!“ Wir lesen die Weihnachtsgeschichte, singen zusammen.

Dann packen wir die Päckchen auf. Die Kinder bekommen Buchstaben-Magneten und dekorieren damit lange und zufrieden unseren Kühlschrank.

Fragt man die Katze „Findus“ aus den Pettersson-Kinderbüchern, so ist das Wichtigste an Weihnachten selbstverständlich das Essen. „Schinken und Fleischklößchen und Heringssalat und Blutwurst und Kartoffelgratin und Grütze und Lachs und Gewürzbrot!“

Auch die Schweden geben zu, dass die Leckereien eigentlich nicht zusammenpassen. Aber so macht man es halt. Ich habe eine ganz kleine Auswahl des traditionellen schwedischen Weihnachtsbuffetts für uns zubereitet. Es ist für jeden was dabei, sogar für das wählerische Kindergartenkind. Weihnachtsessen in Buffettform ist gelingsicher, das gefällt mir.

Als die Kinder schlafen, gehen auch wir Eltern nach oben, Koffer packen. Denn am frühen Weihnachtsmorgen geht ja unser Flieger nach Deutschland.

Wo werden wir wohl den nächsten Heiligabend feiern? – Wer weiß. Aber ich habe das Gefühl, wir werden noch lange an das Jahr zurückdenken, als wir einmal Weihnachten in Schweden gefeiert haben.

G