Kälte in Värmland

Eines Sommers vor vielen Jahren ist die Familie, in der ich groß geworden bin, nach Schweden verreist, in eine einsame Hütte an einem See irgendwo in Värmland, bilderbuchgleich. Eines der Kinder dieser Familie hat sich damals dermaßen in das Land verliebt, dass es Schwedisch lernte und beschloss, wenn es groß wäre, nach Schweden auszuwandern.

Bloß: Das war nicht ich. Ich war bei diesem Urlaub nichtmal dabei. Ich saß im Studium in einer schönen norddeutschen Großstadt und habe von Schweden nur ein paar Fotos gesehen. Keinerlei Wunsch, dorthin auszuwandern. Kein Brocken Schwedisch gelernt.

Dasjenige meiner Geschwister, das Schweden so liebt, lebt heute mit seiner Familie in Deutschland, fährt aber noch immer jedes Jahr hoch in den Norden. Das ist schön, denn so können wir uns treffen. Dieses Mal besuchen sie Freunde in Värmland, und wir dürfen dazu kommen.

Värmland liegt im Westen Schwedens, an der Grenze zu Norwegen, und ist eine der unberührtesten Gegenden des Landes. Hier gibt es noch riesige Nadelwälder. Elche, Hirsche, Rehe, Füchse, Mücken. Und viel, viel Schnee.

Nach stundenlanger Fahrt über Landstraßen kommen wir zu dem Haus, das „Lasse-Hütte“ heißt, eine Ewigkeit vom nächsten Ort entfernt. Fast 80 cm Schnee sind in den letzten Wochen gefallen. Um das bildlich zu machen: Wenn man einen Schritt in den Schnee macht, sinkt man bis zum Hüftgelenk ein. Und steckt fest.

Wir dürfen die ausgebaute Scheune bewohnen. Draußen herrscht strenger Frost, -13 Grad. Nachts stehen wir immer wieder auf, um Holzscheite in den kleinen Ofen zu legen, damit die Temperatur drinnen erträglich bleibt. Ich muss an ein Buch denken, das ich letztens las, einen „Ratgeber für junge Frauen“ von meiner Urgroßtante aus dem Jahr 1911. Dort stand: „Die Temperatur im Schlafzimmer soll nicht unter 9 Grad sinken“. Ich fühle mich wie um ein Jahrhundert zurück versetzt.

„Ist es in Värmland eigentlich wärmer als hier bei uns?“, hatte unser Sohn im Vorfeld gefragt.

Unsere Gastgeber haben in Fleißarbeit Wege freigeschaufelt zwischen Wohnhaus, Scheune, Klohäuschen und Parkplatz. Diese fühlen sich an wie ein 80 cm hohes Labyrinth. Abseits der Wege kann niemand laufen, man versinkt sofort. Wir sind komplett eingeschneit. Wer weg will, braucht Skier oder Schneeschuhe.

Aber wir wollen ja nicht weg. Wir wollen Schlittenfahren!

Und gezogen werden.

Und im Schnee spielen.

Wir lernen sogar, wie man auf einem zugefrorenen See Löcher bohrt und eine Angel reinhält.

Wie man auf diese Weise Fische fängt, lernen wir allerdings nicht. (Zugegeben, ich finde das nicht schlimm. Ich koche stattdessen abends für die ganze Sippe Linsensuppe.)

Nach 3 Tagen reisen wir wieder ab, um ein Schnee-Erlebnis reicher. Schön, dass wir so etwas kennen lernen dürfen. Schön, dass wir nach Schweden ausgewandert sind. Wer hätte damals gedacht, dass ausgerechnet ich …

G

 

 

 

Februar

Wochenlang wurde es dunkler. Irgendwann war er da, der allerdunkelste Tag, Wintersonnwende, und der nächste Tag war schon wieder etwas heller. Hier in Schweden geht der Lichtwechsel schneller, spürbarer vonstatten. Schließlich müssen wir bis Mitte März alles aufholen, was wir im Vergleich zu Deutschland weniger haben. Nach einem kurzen Gleichstand überholen wir Mitteleuropa und haben danach wieder richtig lange Sonnentage.

Jetzt, im Februar, trägt der schwedische Winter sein schönstes Kleid. Das Land ist mit einer weißen Schneedecke überzogen, die bei jedem Schritt knirscht und im Sonnenlicht glitzert.

Für unsere Vögel haben wir Meisenknödel gebacken. Dass ich das Netz mit bunter Wolle gehäkelt habe, scheint sie nicht zu stören. 

Unser Kindergartenkind bringt uns aus der Förskola jedes Krankheitsvirus mit, und Familie Abraham liegt flach, einer nach dem anderen. Immer wenn wir denken, jetzt ist es überstanden, fängt der nächste an.

Wir sind alle ausgelaugt von der letzten Magengrippe-Epidemie. Nur die Kleine, die hat nebenbei noch Laufen gelernt. Eines Tages richtete sie sich auf und – lief los.

Wie schnell du dich von uns entfernst, wenn du erst gehen lernst“, hat Herman van Veen gesungen, aber ich sehe die ersten Schritte der Kleinen ganz ohne Melancholie. Ich kann mich nur mitfreuen und staunen. Gerade lag sie noch winzigklein im Bettchen, nun tragen ihre Beinchen sie tapp, tapp, tapp von Zimmer zu Zimmer. Überall klettert sie auf Stühle und Tische und freut sich, was sie da oben so alles findet. Nadelkissen! Teekannen! Klebstoff! Täglich danke ich Gott, dass die Kleine wieder einmal unversehrt geblieben ist und so selten irgendwo runterfällt.

Mittlerweile hat sie einen 6 Wörter umfassenden Wortschatz, den sie immer bewusster einsetzt:

  • Mama
  • Papa
  • Linnea („Nee-nee“)
  • Ja
  • Nein
  • Titta“ (schwedisch: Schau mal)

Aber wenn wir mal ehrlich sind, ist das häufigste Wort doch:
„MAMAAA!“

G

Geburtstagszeit

In den letzten Wochen haben wir 2 Geburtstage gefeiert. Vater und Mutter Abraham sind ein Jahr älter geworden und haben wieder einmal erlebt, dass man das mit den Geburtstagen in Schweden einfach anders handhabt als in Deutschland.

Dabei feiert man in Schweden doch ständig. Das Jahr ist eingeteilt in Feiertage, denen sich keiner entzieht. Frühlingsanfang, Nationalfeiertag, Mittsommer, Erntedank, Advent, Weihnachten, Knut… alle paar Wochen wird landesübergreifend gefeiert. Von Lappland bis Schonen wird gesungen, getanzt und man isst eingelegten Hering.

Nur den eigenen Geburtstag, den feiert man: nicht. Man gratuliert auch nicht, sofern es kein runder Geburtstag ist. Stillschweigend verstreicht der Tag, ignoriert von Freunden und Kollegen. In einer Zeitung fand ich folgende Kuriosität, die für meine Beobachtung als Beweis dienen soll:

„Alle eventuellen Aufwartungen zum meinem Geburtstag verbitte ich mir freundlich, aber bestimmt.“

Ihr Lieben, wir hingegen haben uns sehr über jeden Geburtstagsgruß, jede Gratulation gefreut! Danke dafür.

G & V