Verbrennblumen

Nicht, dass die schwedische Küche für irgend etwas besonders berühmt wäre. Die Klassiker findet man alle im IKEA-Standardsortiment: Köttbullar (Fleischbällchen), Pfannkuchen mit Preiselbeeren, eingelegter Hering, Knäckebrot, Zimtschnecken.

Abseits des Standardrepertoires aber findet man feine Sachen. Richtige Geheimtipps. Ich habe angefangen, Rezepte nachzukochen, die ich hier kennengelernt habe: Kardamon-Hefeschnecken, Lachs mit Erbsenschaum, Västerbotten-Paj (eine Art Käse-Quiche)… der Hammer. Vielleicht veröffentliche ich hier mal das eine oder andere Rezept.

Heute allerdings habe ich mit unserem Sohn ein Koch-Event veranstaltet, bei dem es weniger um den großen Genuss, als um das Erlebnis ging. Wir haben Nässelsoppa gekocht, Brennesselsuppe. Begeistert ist der 2-Jährige mit mir in den Park spaziert, hat sich die dicken Winterhandschuhe angezogen und mit der Gartenschere Nesseln abgeschnitten.

Verbrennungsfrei!

Die Pflanzen habe ich dann zuhause gewaschen, abgezupft, gehackt und mit angeschwitzten Zwiebeln und Brühe eine Weile gekocht. Nicht verbrennungsfrei.

Ein weiches Ei hinein, fertig ist das tiefgrüne Gericht.  Geschmacklich erinnert es – ich kann es nicht beschönigen – an Entschlackungs-Tee. Also nicht soo zum Nachkochen empfohlen.

„Was hast du heute Schönes gemacht?“, fragt der Papa beim Abendessen. Berichtet der 2-Jährige:

„Wir haben Verbrennblumen gepflückt!“

G

Sommer

Der Frühling in Schweden ist kurz und intensiv, man könnte ihn eigentlich umbenennen in: „Mai“.

Bis April hatten wir noch Schnee. Und Anfang Juni beginnen die Sommerferien. Mit einem Mal legt sich der Sommer warm, hell und geruhsam auf das Land und leert die Städte. Knapp 10 Wochen am Stück haben die schwedischen Kinder schulfrei. Die Studenten, die immerhin 25% der Einwohner Uppsalas ausmachen, verschwinden in die Semesterferien.

Jedem Arbeitnehmer stehen gesetzlich 4 Wochen Sommerurlaub am Stück zu. Nur die Expatriates arbeiten durch. Alle anderen verreisen wochen-, monatelang in ihre Sommerhäuser, ans Meer, an einen See, zu Verwandten auf dem Land. Ende Mai verabschieden sich alle voneinander:

„Habt einen schönen Sommer! Wir sehen uns im September wieder!“

Uppsala ist verlassen. Kein Sprachcafé, kein Chor, keine Förskola, meine neuen Freundinnen sind verreist. Meine Wochenstruktur bricht mir weg, der Kalender ist leer.

Ich durchforste die Wochenzeitung nach Veranstaltungen. Zum Glück wird für die wenigen, armen Zurückgebliebenen einiges angeboten: Die Kirchen veranstalten „Sommercafés“,  am Fluss liegt eine schöne öffentliche Badestelle, es gibt eine ganze Reihe kostenloser Museen, einen Bauernhof und viele Spielplätze.  Noch schöner wäre es, wenn ich nicht immer allein hingehen müsste, aber das ist jetzt Jammern auf hohem Niveau.

Ich freue mich im Hinblick auf den langen, freien Sommer, dass wir viel Besuch aus Deutschland bekommen. Das ist jedes Mal solch ein Geschenk für uns! Mit jedem Besucher schwappt eine Welle frischen Meerwassers in unseren Teich herein.

Ein Besucher bringt ein neues Kinderbuch mit, ein anderer schreibt mir schnell ein Rezept für ein gelingsicheres Baguette auf einen Zettel, ein dritter backt für uns den perfekten Käsekuchen. Wir reden über Politik und Berufe, alte Zeiten und neue Herausforderungen, erkunden Uppsalas schönste Flecken, sitzen abends zusammen und genießen ein schönes Glas deutschen Rotweins. „Wie geht es dir?“ – Wie unerwartet und aufschlussreich die Antwort des Ehepartners sein kann, wenn jemand Außenstehendes diese Frage stellt!

Auch die Kinder profitieren. Der Große jauchzt vor Vergnügen, wenn unser Besuch mit ihm Fußball spielt oder Autos unterm Sofa durchflitzen lässt. Die Kleine studiert fasziniert die neuen Gesichter und schenkt jedem ein strahlendes Lächeln.

Wenn sich der Sommer im August dem Ende zuneigt, ziehen wir um. Keine Frage, dass auch unsere neue Wohnung wieder ein Gästezimmer haben wird.

G

Unregelmäßige Verben

Seit 9 Monaten sind wir nun in Schweden. Meine Frau hat pünktlich fließend-schwedische Sprachkenntnisse zur Welt gebracht. Ich bin beeindruckt. Da meine sprachliche Erlebniswelt von Montags bis Freitags vor allem von Englisch geprägt ist, dauert die schwedische „Sprach-Schwangerschaft“ bei mir deutlich länger.

Im Supermarkt kann ich mich verständigen; mit Kollegen oder Bekannten zwei bis drei Sätze auf Schwedisch zu plaudern, geht auch schon. Je nach Thema sind meine Kenntnisse so, dass ich zumindst immer öfters verstehe, worum es grob geht.

Trotzdem stelle ich nach 9 Monaten fest: Ich nehme mir einfach zu wenig Zeit, um die Sprache aktiv zu lernen. Mich einfach mal hinzusetzen und Vokabeln zu lernen. Heute ist ein guter Tag dazu. Ich habe etwas Zeit, also los geht’s mit den unregelmäßigen Verben.

Das erste unregelmäßige Verb in meinem Übungsbuch ist „be“, zu Deutsch „beten“.

Dass „beten“ im Schwedischen ein unregelmäßiges Verb ist, spiegelt meine bisherige Erfahrung in Schweden präzise wider. Vor allem im übertragenen Sinne. Beten kommt hier im Alltag unregelmäßig vor. Beziehungsweise selten.

Wer in der Öffentlichkeit, z. B. in der Kantine, vor dem Essen ein Dankgebet spricht, gilt mindestens als Exot, vielleicht auch als verrückt. In jedem Falle verhält er sich entgegengesetzt zur schwedischen politisch-religiösen Korrektheit. Ich bete trotzdem und bin immer wieder beeindruckt, was sich für spannende Gespräche ergeben, wenn es einer der Tischnachbarn bemerkt.

Und darüber hinaus: Das erste unregelmäßige Verb im Schwedischen habe ich jetzt drauf. 😉

Mal sehen, wie das zweite geht.

V

Villa Kunterbunt

Anfang August müssen wir umziehen. Da wir aus einem möblierten in ein unmöbliertes Haus wechseln, standen meine letzten Wochen unter dem Motto „Möbel finden.“ IKEA ist naheliegend, für uns aber keine Option. Erstens haben wir einen fast kompletten Hausstand in Deutschland eingelagert und brauchen eigentlich nichts. Zweitens wäre es bei der Menge richtig teuer. Und drittens liebe ich alte Möbel! Also suchen wir nach Gebrauchtmöbeln.

Als erstes erstelle ich eine Liste aller Dinge, die wir brauchen werden. Betten, Matratzen, Regale, Tische, Stühle, Schreibtisch, Lampen… die Liste wird lang.

Als nächstes fahre ich zur Bibliothek und leihe mir Bücher zum Thema „Einrichten“ aus. Ich weiß zwar ungefähr, welchen Stil ich mag, aber es hilft mir beim Einkaufen, bildlich vor Augen zu haben, wonach ich suche.

Danach durchforste ich eine Woche lang mit den beiden Kindern die lokalen Second-Hand-Läden. Vater Abraham fährt nun öfters mit dem Rad zur Arbeit, darum kann ich das Auto nehmen und die Lage sondieren.

Der Große findet diese Ausflüge toll. Ihm ist tagsüber sowieso viel zu oft langweilig. Während ich mich nach Möbeln umsehe, verschwindet er in der Spielsachen-Abteilung und probiert in Ruhe alles aus. Hin und wieder schaut er, ob ich noch da bin, und zeigt mir dabei irgendeinen Schatz; ein kleines Auto, einen Helikopter.

Beim Abendessen zuhause berichte ich von meinen Erkundungen: Es gibt 6 große Sozialkaufhäuser und Second-Hand-Läden in Uppsala. Davon ist etwa die Hälfte gut sortiert, sauber und mit reichlicher Auswahl.

Nun geht es an die Umsetzung! Samstag nach dem Frühstück fahren wir los. Vater und Mutter Abraham haben nicht unbedingt dieselbe Vorliebe für altmodische Möbel. Wo die Grenze zwischen Shabby und Chic, zwischen Schatz und Schrott verläuft, liegt im Auge des Betrachters. Ich bin erstaunt, wie schnell wir uns diesmal einig werden. Der weiße Eckschrank fürs Kinderzimmer und die hellroten Stühle… der braune Ohrensessel, der Koffer und die beiden silbernen Industrielampen… – die nehmen wir!

Als unsere Schätze dann geliefert werden und in der Einfahrt stehen, wächst in mir zum ersten Mal Vorfreude auf unser neues Zuhause. Zwar müssen wir einen ungeplanten Umzug stemmen. Aber danach wohnen wir gemütlich in unserer eigenen Villa Kunterbunt.     

G

Zeiten des zunehmenden Lichts

Ich habe es mir ja vorher nicht vorstellen können. Aber jetzt ist es soweit: Es wird nachts nicht mehr dunkel. Zwar geht die Sonne gegen 22 Uhr unter, gefolgt von einer laaangen Abenddämmerung. Und gerade wenn man meint, dass es jetzt richtig dunkel wird… wird es wieder hell. Gegen 3 Uhr ist die Sonne wieder da.

So viel Licht ist natürlich herrlich. Aber man muss sich wirklich zwingen, gegen Mitternacht ins Bett zu verschwinden!

Auch die Kleine kann nur schwer begreifen, dass es um 3 Uhr nachts kein Essen gibt. Wäre das nicht die ideale Frühstückszeit… bei Sonnenaufgang?

G

 

Nationalfeiertag

Das ist Gustav I. Wasa.

Er befreite Schweden im Jahr 1520 von Dänemark. Dafür sind ihm die Schweden noch heute dankbar. Im ganzen Land stehen Statuen des wackeren Mannes mit dem langen roten Bart. Nach ihm sind ein berühmtes Kriegsschiff, ein jährliches Ski-Rennen (Vasa-Lauf) und ein Knäckebrot benannt. Ja, wirklich, auch das Knäckebrot.

Am 6. Juni 1521 wurde Gustav I. Wasa zum Schwedischen König gekrönt. Dieses Datum ist heutzutage Nationalfeiertag.

Alle haben frei; Familien ziehen an den Hafen oder in den Stadtpark, picknicken dort oder fahren Boot. Auf einer Freilichtbühne spielen Menschen in hübschen Trachten alte Volksweisen; ein Kinderchor singt. Nach jedem Lied schwenkt unser Sohn seine blau-gelbe Flagge.

Auf dem Rückweg fängt die Kleine in ihrem Fahrradanhänger an zu brüllen. Sie hat Hunger und ich merke, sie kann nicht mehr warten, bis wir zuhause sind. Also parke ich das Rad auf dem Grünstreifen einer Schnellstraße, breite eine Decke im Gras aus und füttere sie dort.

Die Sonne scheint. Ich schaue hinauf in die hellgrünen Blätter einer Linde. Ich schaue hinab auf das friedliche Gesicht meiner halbjährigen Tochter. Mein Moment des Tages.

G