Krank auf Schwedisch

Alles fängt damit an, dass ich am Montag Nachmittag meinen Arbeitsplatz vorzeitig verlasse, um zum nahegelegenen Kindergarten unseres Sohnes zu fahren. „Um 15.30 Uhr ist Lichterfest“, hat meine Frau gesagt. Hieß das nicht letztes Jahr noch „Lucia-Fest“? frage ich mich draufhin. In diesem staatlichen Kindergarten wird offenbar jede auch nur entfernt religiöse Tradition durch Unverfängliches ersetzt.

Ich will mir die Sache trotzdem ansehen, meinem kleinen Richard und meiner lieben Frau eine Freude machen, und mehr oder weniger unangekündigt aufkreuzen. Kommt ja sonst fast nie vor, dass sich der vielbeschäftige Papa da mal blicken lässt.

Freudig entdecke ich draußen im Hof des Kindergartens eine Traube von ca. 30 Kindern mitsamt Erziehern und Eltern, die sich um kleine, auf dem Boden stehende, bunte Leuchten scharen. Mittendrin endlich meine drei Lieben. Linnea liegt eingekuschelt im Kinderwagen, hat von der Kälte rote Wangen und strahlt trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen. Meine liebe Frau steht hinter Richard. Der Kleine lehnt sich benommen an seine Mama. Ganz offensichtlich ist er angeschlagen, müde und krank.

Am Abend bemerkte ich dann selbst Schmerzen in Hals und Ohren. Normalerweise kündigt sich eine Erkältung bei mir immer über ein bis zwei Tage an, sie fragt sozusagen zurückhaltend „Hallo, passt es gerade, wenn ich jetzt komme?“, sodass ich meist noch ein Wörtchen mitreden kann und bestimmt auf das nächste anstehende Wochenende verweise, weil ich in der Woche ja noch „soooviel arbeiten muss“. Aber diesmal läuft es anders. Die Erkältung tritt einfach die Tür ein.

Am Dienstag Morgen wird mir die Ernsthaftigkeit meines spontanen grippalen Infektes bewusst, ich muss mich krankmelden. Irgendwie tue ich mich immer schwer mit solchen Krankmeldungen, schriftlich oder auch am Telefon. Aber jetzt gilt es. Ich brauche zum ersten Mal eine offizielle Krankmeldung des schwedischen Gesundheitssystems. Hier ist ja grundsätzlich alles anders, was Ärzte und Krankheiten betrifft. Vermutlich geht es ähnlich wie bei den schwedischen Fastfood-Restaurants: Man trifft seine Wahl an einer mit einem Touchscreen versehenen Box, steckt die EC-Karte rein, und holt sich sein Essen ab, ohne auch nur einmal mit einem menschlichen Wesen Kontakt zu haben.

Also, wo finde ich nun den Automaten, an dem ich meine Krankheit auswählen kann? – Da fällt mir ein, dass ich immer eine SMS auf mein Handy bekomme, wenn einer meiner Mitarbeiter krank ist. Nicht vom Mitarbeiter selbst, sondern von einem Gesundheitsdienstleister. In der SMS steht, ab wann (und manchmal bis wann) der Mitarbeiter krank ist, und noch eine Nummer, falls ich den Vorgang irgendwie nachverfolgen will.

Ich rufe also die Webseite dieses Anbieters im Internet auf, finde tatsächlich eine Telefonnummer und erfahre von einer automatischen Ansage, dass ich Nummer 16 in der Warteschlange bin. Ich hinterlasse meine Telefonnummer, um zurückgerufen zu werden. Bald kommt der Rückruf, und eine Frau fragt kühl nach meiner Personennummer. Ich sage ihr die 10-stellige Nummer. Daraufhin liest sie mir vor, wo ich arbeite und fragt wie meine Chefin heißt. „Korrekt?“ „Korrekt.“ Ich bin wieder einmal beeindruckt, was die Schweden so alles über mich wissen.

Ich sage, dass ich krank bin. Eine Erkältung habe. Die Frau wechselt wie auf Knopfdruck den Tonfall. Fürsorgliche, fast mütterlich-beschützend fragt sie mich: „Wie fühlst du dich?“ und „Soll dich eine Krankenschwester zurückrufen?“ Nicht nötig. Ist ja nur eine Erkältung.

„Gut“, sagt sie. „Ruf bitte wieder an, wenn du gesund bist.“ Sie beendet das Gespräch freundlich mit den Worten „Ta hand om dig!“, ein Ausdruck, den ich gerne mag, und den man gar nicht so einfach ins Deutsche übersetzen kann. „Pass auf dich auf“ trifft es nicht ganz, besser ist: „Halte deine Hände über dich, damit sie dich schützen.“ Ich freue mich über dieses Abschiedsgruß, auch wenn ich weiß, dass es letztendlich nicht meine eigenen, sondern die Hände eines Anderen, viel größeren sind, die auf mich Acht geben.

Noch während des Gesprächs vibriert mein Smartphone und zeigt mir eine von diesen SMS an, die ich immer bekomme, wenn einer meiner Mitarbeiter krank ist. Diesmal als Info, dass meine Chefin informiert wurde. Geschafft: Ich habe mich offiziell auf Schwedisch krankschreiben lassen!

Was folgt, sind einige Tage zuhause, Tee trinkend, schlafend, genesend. Meine Frau habe ich bald darauf angesteckt, was uns einige erstaunlich schöne, gemeinsame Krankheitstage mit ganz wesentlichen, im wahrsten Sinne des Wortes sinnvollen gemeinsamen Gesprächen beschert. Vielleicht habe ich genau das gebraucht. Es ist heilsam, zu merken, dass „die Arbeit“ auch ohne mich auskommt und dass auch ein vermeintliches Unproduktiv-Sein wertvoll sein kann.

Mehr davon!

V.

 

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