Wandertag

Eine mehrstündige Wanderung mit 2 Kleinkindern zu machen, wäre uns selbst nicht eingefallen. Aber als Elinor und ihr Mann Pontus vorschlagen, gemeinsam den in der Nähe des Sommerhauses gelegenen Berg Järvsö Klack zu besteigen, lassen wir uns überzeugen. Wenn die beiden ihren vier Kindern zutrauen, knapp 400 Höhenmeter auf 3 km zu überwinden, schaffen unsere das auch. Denken wir.

Copyright: Cattis Olsson

Der Järvsö Klack erhebt sich 390 m im schwedischen Hälsingland. Die Wanderwege erinnern mich anfangs an die meiner Kindheit, später wird es steiler und steiler. Wir steigen über das Wurzelgefleicht von über 300 Jahre alten Bäumen hinweg. Am Wegrand wachsen Blaubeersträucher. Der Wald ist still und verwunschen. Totholz und große Steine bilden Figuren. Kein Wunder, denke ich, dass es in den schwedischen Märchen so viele Trolle, Zwerge und Wichtel gibt.

Nach der halben Strecke tragen vier Erwachsene vier Kinder. Nur die zwei ältesten, 5 und 7 Jahre alt, schaffen die Strecke allein.

Wir schnaufen und schwitzen. Aber als wir oben sind, wiegt der Ausblick alle Mühen auf. Mein persönliches Highlight ist allerdings viel kleiner. Mitten im Wald, in einem Moosbett, habe ich ein winziges, rosa-weißes Blümchen entdeckt, das ich schon lange zu finden gehofft habe. Elinor bestätigt mir meinen Fund: Es ist das Moosglöckchen. Linnaea borealis.

Benannt wurde die Linnaea 1737 nach dem schwedischen Botaniker und Systematiker Carl von Linné, der in Uppsala gewirkt hat. Er benannte sie nach sich selbst: Sie war seine Lieblingsblume.

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Sommerhaus, später

Ein altes Bauernhaus in rotem Schwedenholz, einsam gelegen inmitten grüner Wiesen. Eine lange Tafel, an der eine fröhliche Großfamilie Platz nimmt. Reichliches Essen. Musik und Gesang.

Dieses Bild, mit dem die Reiseführer deutsche Touristen nach Schweden locken… ich glaube, das gibt es in Wirklichkeit gar nicht für Touristen. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.

Wenn man allerdings in Schweden angekommen ist, die Sprache spricht, lange Winterkälte und distanzierte menschliche Kühle miterlebt hat, sich um Anschluss bemüht und endlich Freunde gefunden hat… dann hat man vielleicht eine Chance, dieses scheue, wahre, verborgene schwedische Idyll einmal mitzuerleben.

„Wir sind den ganzen Sommer in unserem Sommerhaus“, hatte Elinor, Mutter von 4 Kindern, zu mir gesagt. „Kommt doch ein paar Tage vorbei!“

Wir stehen kurz vor dem Umzug, aber zu dieser Einladung sagen wir nicht Nein. Mein Mann nimmt ein paar Tage Urlaub und wir fahren los, nach Nordschweden.

Der Begriff „Nordschweden“ ist inhaltlich korrekt, trotzdem irreführend. Als würde Norddeutschland kurz hinter Baden-Württemberg anfangen. So ist das in Schweden: Sämtliche großen und mittelgroßen Städte liegen im südlichen Drittel des Landes. In den oberen zwei Dritteln, dem riesigen Norrland, gibt es Wälder, Seen, Elche. Und das Sommerhaus von Elinors Familie.

Nach knapp 4 Stunden Fahrt biegen wir von einer lupinengesäumten Landstraße in einen Feldweg ein. An seinem Ende steht eine Handvoll roter Holzhäuser mit weißen Fensterrahmen: Wohnhaus, Pferdestall, Hühnerstall. Fast meint man, dass gleich Michel aus Lönneberga aus der Tür flitzt und barfuß über die Wiese zum Tischlerschuppen rennt.

Der Hof stammt aus dem 16. Jahrhundert und ist von einer Unberührtheit, die gleichzeitig bedrückt und befreit. Als Kind ist Elinors Schwiegermutter hier umher gerannt. Heute sind die Gebäude verlassen und zum Sommerhaus für die ganze Familie geworden. Die alten bunten Holzmöbel, handbestickten Gardinen und der kupfereiserne Herd sind weiterhin in Betrieb und versetzen die Sommerhäusler in eine andere Zeit. Eine Zeit, wie von Hand gemacht.

Es gibt keine Toilette, nur ein Plumpsklo; eines von der Sorte, bei der man tiiiief einatmet, ehe man es betritt, und heilfroh ist, dass dies ein warmer Julitag ist und kein eisiger Dezembermorgen.

Eine Dusche gibt es auch nicht. Stattdessen in der Nähe einen großen, stillen See. Dort nehmen wir an warmen Tagen ein Bad, und wieder einmal bin ich dankbar, dass es nicht Dezember ist. Oder ein anderer Monat, der nicht Juli heißt. Wir sind in Nordschweden, und auch warme Sommertage enden in dicken Socken und wollenen Strickjacken.

In der ersten Nacht schlafen wir zu viert in unserem Doppelbett. Es ist eng, aber immer noch besser, als in der klammen Kälte allein zu liegen. Die Nacht ist hell. Und still.

Am Morgen gehe ich barfuß über kühle Holzdielen und alte Flickenteppiche und weiter durchs taufeuchte Gras bis ins Haupthaus, wo schon jemand Kaffee gekocht hat. Einer nach dem anderen kommt verstrubbelt dazu und holt sich seine Schüssel Müsli mit Dickmilch ab.

Den ganzen Tag lang vergnügen sich die 6 Kinder draußen auf der Wiese, erkunden den Hof, baden im See, oder sitzen mit einem Buch in den Polstern des Küchensofas.

Die Männer beaufsichtigen die Kinder und feuern den Holzofen an, wir Frauen stehen in der Küche, backen Brot, schnippeln Salat, rollen vegetarische Köttbullar (Fleischbällchen) und waschen unermüdlich Tellerberge ab.

Zu den Mahlzeiten sitzen 12 Personen aus 3 Generationen an der langen Tafel.

In dieser Gemeinschaft, inmmitten von Küchengeschäftigkeit, Sonne und Natur, Kinderlachen und -gezeter, komme ich zur Ruhe. Kein Fernseher, kein Internet, stattdessen mein Strickzeug. Sommerabende mit Mückengesumme, Nächte auf zerlegenen Matratzen, tiefschwarze Fußsohlen, Kaffee und der Duft von frisch gebackenem Brot.

Ich bin nahezu fassungslos, dass wir so etwas Schönes miterleben durften.

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Sommer-Versprechen

Die Sommerferien erstrecken sich über 10 endlos scheinende Wochen. Die Sonne scheint von 3 bis 22 Uhr, weiße Wolken tüpfeln den blauen Himmel, es ist warm, aber nie schwül-heiß. Manchmal sieht man imposante Regenwolken.

Sommarlov„, nennen die Schweden diese Zeit, zu deutsch: „Sommer-Versprechen“.

Die Städte sind leergefegt, bis auf die (deutschen) Touristen. Alles reist aufs Land, die Züge gen Norden sind immer voll.

Wir haben in den letzten Wochen die letzten Möbel zusammen gekauft, zuletzt Ehebett, Esstisch und passende Stühle. Nun sitzen wir schon wieder auf gepackten Kisten. Manchmal singen wir „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ und manchmal „Summertime Sadness“.

Die Kinder spielen draußen; die Kleine hat ihre ersten Zähne, isst Möhrenbrei und beginnt zu Krabbeln.

Darum gibt’s heute wenig Worte, dafür ein paar Foto-Impressionen von unserem ganz eigenen Sommer-Versprechen.

               

 

Verbrennblumen

Nicht, dass die schwedische Küche für irgend etwas besonders berühmt wäre. Die Klassiker findet man alle im IKEA-Standardsortiment: Köttbullar (Fleischbällchen), Pfannkuchen mit Preiselbeeren, eingelegter Hering, Knäckebrot, Zimtschnecken.

Abseits des Standardrepertoires aber findet man feine Sachen. Richtige Geheimtipps. Ich habe angefangen, Rezepte nachzukochen, die ich hier kennengelernt habe: Kardamon-Hefeschnecken, Lachs mit Erbsenschaum, Västerbotten-Paj (eine Art Käse-Quiche)… der Hammer. Vielleicht veröffentliche ich hier mal das eine oder andere Rezept.

Heute allerdings habe ich mit unserem Sohn ein Koch-Event veranstaltet, bei dem es weniger um den großen Genuss, als um das Erlebnis ging. Wir haben Nässelsoppa gekocht, Brennesselsuppe. Begeistert ist der 2-Jährige mit mir in den Park spaziert, hat sich die dicken Winterhandschuhe angezogen und mit der Gartenschere Nesseln abgeschnitten.

Verbrennungsfrei!

Die Pflanzen habe ich dann zuhause gewaschen, abgezupft, gehackt und mit angeschwitzten Zwiebeln und Brühe eine Weile gekocht. Nicht verbrennungsfrei.

Ein weiches Ei hinein, fertig ist das tiefgrüne Gericht.  Geschmacklich erinnert es – ich kann es nicht beschönigen – an Entschlackungs-Tee. Also nicht soo zum Nachkochen empfohlen.

„Was hast du heute Schönes gemacht?“, fragt der Papa beim Abendessen. Berichtet der 2-Jährige:

„Wir haben Verbrennblumen gepflückt!“

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Sommer

Der Frühling in Schweden ist kurz und intensiv, man könnte ihn eigentlich umbenennen in: „Mai“.

Bis April hatten wir noch Schnee. Und Anfang Juni beginnen die Sommerferien. Mit einem Mal legt sich der Sommer warm, hell und geruhsam auf das Land und leert die Städte. Knapp 10 Wochen am Stück haben die schwedischen Kinder schulfrei. Die Studenten, die immerhin 25% der Einwohner Uppsalas ausmachen, verschwinden in die Semesterferien.

Jedem Arbeitnehmer stehen gesetzlich 4 Wochen Sommerurlaub am Stück zu. Nur die Expatriates arbeiten durch. Alle anderen verreisen wochen-, monatelang in ihre Sommerhäuser, ans Meer, an einen See, zu Verwandten auf dem Land. Ende Mai verabschieden sich alle voneinander:

„Habt einen schönen Sommer! Wir sehen uns im September wieder!“

Uppsala ist verlassen. Kein Sprachcafé, kein Chor, keine Förskola, meine neuen Freundinnen sind verreist. Meine Wochenstruktur bricht mir weg, der Kalender ist leer.

Ich durchforste die Wochenzeitung nach Veranstaltungen. Zum Glück wird für die wenigen, armen Zurückgebliebenen einiges angeboten: Die Kirchen veranstalten „Sommercafés“,  am Fluss liegt eine schöne öffentliche Badestelle, es gibt eine ganze Reihe kostenloser Museen, einen Bauernhof und viele Spielplätze.  Noch schöner wäre es, wenn ich nicht immer allein hingehen müsste, aber das ist jetzt Jammern auf hohem Niveau.

Ich freue mich im Hinblick auf den langen, freien Sommer, dass wir viel Besuch aus Deutschland bekommen. Das ist jedes Mal solch ein Geschenk für uns! Mit jedem Besucher schwappt eine Welle frischen Meerwassers in unseren Teich herein.

Ein Besucher bringt ein neues Kinderbuch mit, ein anderer schreibt mir schnell ein Rezept für ein gelingsicheres Baguette auf einen Zettel, ein dritter backt für uns den perfekten Käsekuchen. Wir reden über Politik und Berufe, alte Zeiten und neue Herausforderungen, erkunden Uppsalas schönste Flecken, sitzen abends zusammen und genießen ein schönes Glas deutschen Rotweins. „Wie geht es dir?“ – Wie unerwartet und aufschlussreich die Antwort des Ehepartners sein kann, wenn jemand Außenstehendes diese Frage stellt!

Auch die Kinder profitieren. Der Große jauchzt vor Vergnügen, wenn unser Besuch mit ihm Fußball spielt oder Autos unterm Sofa durchflitzen lässt. Die Kleine studiert fasziniert die neuen Gesichter und schenkt jedem ein strahlendes Lächeln.

Wenn sich der Sommer im August dem Ende zuneigt, ziehen wir um. Keine Frage, dass auch unsere neue Wohnung wieder ein Gästezimmer haben wird.

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Unregelmäßige Verben

Seit 9 Monaten sind wir nun in Schweden. Meine Frau hat pünktlich fließend-schwedische Sprachkenntnisse zur Welt gebracht. Ich bin beeindruckt. Da meine sprachliche Erlebniswelt von Montags bis Freitags vor allem von Englisch geprägt ist, dauert die schwedische „Sprach-Schwangerschaft“ bei mir deutlich länger.

Im Supermarkt kann ich mich verständigen; mit Kollegen oder Bekannten zwei bis drei Sätze auf Schwedisch zu plaudern, geht auch schon. Je nach Thema sind meine Kenntnisse so, dass ich zumindst immer öfters verstehe, worum es grob geht.

Trotzdem stelle ich nach 9 Monaten fest: Ich nehme mir einfach zu wenig Zeit, um die Sprache aktiv zu lernen. Mich einfach mal hinzusetzen und Vokabeln zu lernen. Heute ist ein guter Tag dazu. Ich habe etwas Zeit, also los geht’s mit den unregelmäßigen Verben.

Das erste unregelmäßige Verb in meinem Übungsbuch ist „be“, zu Deutsch „beten“.

Dass „beten“ im Schwedischen ein unregelmäßiges Verb ist, spiegelt meine bisherige Erfahrung in Schweden präzise wider. Vor allem im übertragenen Sinne. Beten kommt hier im Alltag unregelmäßig vor. Beziehungsweise selten.

Wer in der Öffentlichkeit, z. B. in der Kantine, vor dem Essen ein Dankgebet spricht, gilt mindestens als Exot, vielleicht auch als verrückt. In jedem Falle verhält er sich entgegengesetzt zur schwedischen politisch-religiösen Korrektheit. Ich bete trotzdem und bin immer wieder beeindruckt, was sich für spannende Gespräche ergeben, wenn es einer der Tischnachbarn bemerkt.

Und darüber hinaus: Das erste unregelmäßige Verb im Schwedischen habe ich jetzt drauf. 😉

Mal sehen, wie das zweite geht.

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Villa Kunterbunt

Anfang August müssen wir umziehen. Da wir aus einem möblierten in ein unmöbliertes Haus wechseln, standen meine letzten Wochen unter dem Motto „Möbel finden.“ IKEA ist naheliegend, für uns aber keine Option. Erstens haben wir einen fast kompletten Hausstand in Deutschland eingelagert und brauchen eigentlich nichts. Zweitens wäre es bei der Menge richtig teuer. Und drittens liebe ich alte Möbel! Also suchen wir nach Gebrauchtmöbeln.

Als erstes erstelle ich eine Liste aller Dinge, die wir brauchen werden. Betten, Matratzen, Regale, Tische, Stühle, Schreibtisch, Lampen… die Liste wird lang.

Als nächstes fahre ich zur Bibliothek und leihe mir Bücher zum Thema „Einrichten“ aus. Ich weiß zwar ungefähr, welchen Stil ich mag, aber es hilft mir beim Einkaufen, bildlich vor Augen zu haben, wonach ich suche.

Danach durchforste ich eine Woche lang mit den beiden Kindern die lokalen Second-Hand-Läden. Vater Abraham fährt nun öfters mit dem Rad zur Arbeit, darum kann ich das Auto nehmen und die Lage sondieren.

Der Große findet diese Ausflüge toll. Ihm ist tagsüber sowieso viel zu oft langweilig. Während ich mich nach Möbeln umsehe, verschwindet er in der Spielsachen-Abteilung und probiert in Ruhe alles aus. Hin und wieder schaut er, ob ich noch da bin, und zeigt mir dabei irgendeinen Schatz; ein kleines Auto, einen Helikopter.

Beim Abendessen zuhause berichte ich von meinen Erkundungen: Es gibt 6 große Sozialkaufhäuser und Second-Hand-Läden in Uppsala. Davon ist etwa die Hälfte gut sortiert, sauber und mit reichlicher Auswahl.

Nun geht es an die Umsetzung! Samstag nach dem Frühstück fahren wir los. Vater und Mutter Abraham haben nicht unbedingt dieselbe Vorliebe für altmodische Möbel. Wo die Grenze zwischen Shabby und Chic, zwischen Schatz und Schrott verläuft, liegt im Auge des Betrachters. Ich bin erstaunt, wie schnell wir uns diesmal einig werden. Der weiße Eckschrank fürs Kinderzimmer und die hellroten Stühle… der braune Ohrensessel, der Koffer und die beiden silbernen Industrielampen… – die nehmen wir!

Als unsere Schätze dann geliefert werden und in der Einfahrt stehen, wächst in mir zum ersten Mal Vorfreude auf unser neues Zuhause. Zwar müssen wir einen ungeplanten Umzug stemmen. Aber danach wohnen wir gemütlich in unserer eigenen Villa Kunterbunt.     

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Zeiten des zunehmenden Lichts

Ich habe es mir ja vorher nicht vorstellen können. Aber jetzt ist es soweit: Es wird nachts nicht mehr dunkel. Zwar geht die Sonne gegen 22 Uhr unter, gefolgt von einer laaangen Abenddämmerung. Und gerade wenn man meint, dass es jetzt richtig dunkel wird… wird es wieder hell. Gegen 3 Uhr ist die Sonne wieder da.

So viel Licht ist natürlich herrlich. Aber man muss sich wirklich zwingen, gegen Mitternacht ins Bett zu verschwinden!

Auch die Kleine kann nur schwer begreifen, dass es um 3 Uhr nachts kein Essen gibt. Wäre das nicht die ideale Frühstückszeit… bei Sonnenaufgang?

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Nationalfeiertag

Das ist Gustav I. Wasa.

Er befreite Schweden im Jahr 1520 von Dänemark. Dafür sind ihm die Schweden noch heute dankbar. Im ganzen Land stehen Statuen des wackeren Mannes mit dem langen roten Bart. Nach ihm sind ein berühmtes Kriegsschiff, ein jährliches Ski-Rennen (Vasa-Lauf) und ein Knäckebrot benannt. Ja, wirklich, auch das Knäckebrot.

Am 6. Juni 1521 wurde Gustav I. Wasa zum Schwedischen König gekrönt. Dieses Datum ist heutzutage Nationalfeiertag.

Alle haben frei; Familien ziehen an den Hafen oder in den Stadtpark, picknicken dort oder fahren Boot. Auf einer Freilichtbühne spielen Menschen in hübschen Trachten alte Volksweisen; ein Kinderchor singt. Nach jedem Lied schwenkt unser Sohn seine blau-gelbe Flagge.

Auf dem Rückweg fängt die Kleine in ihrem Fahrradanhänger an zu brüllen. Sie hat Hunger und ich merke, sie kann nicht mehr warten, bis wir zuhause sind. Also parke ich das Rad auf dem Grünstreifen einer Schnellstraße, breite eine Decke im Gras aus und füttere sie dort.

Die Sonne scheint. Ich schaue hinauf in die hellgrünen Blätter einer Linde. Ich schaue hinab auf das friedliche Gesicht meiner halbjährigen Tochter. Mein Moment des Tages.

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Ein neues Zuhause

Nach dem ersten Schreck über unsere „Räumungsklage“ erleben wir mit Staunen, wie sich unser derzeitiges Haus vor unseren Augen in ein Traumschloss verwandelt. Wie lieben wir auf einmal das knarrende Parkett, die großen, ständig klemmenden Fenster, die wackelige Treppe zur Eingangstür! Ach, könnten wir doch hier bleiben, ich nähme auch mit Freuden die fürchterliche Dusche in Kauf…

Aber Sentimentalität bringt uns nicht weiter. Wir brauchen eine neue Wohnung. Also krempeln wir die Ärmel hoch und machen uns auf die Suche.

Im Språkcafé frage ich meine Gesprächspartnerin, eine Dame fortgeschrittenen Alters, ob sie mir beim Verfassen eines Wohnungsgesuches helfen würde. Sie gibt zu bedenken, das habe sie zuletzt in den 50er-Jahren gemacht, aber sie wolle es gern versuchen. Nach 2 Stunden liest sich unser Text etwa so:
„Wohngelegenheit gesucht von anständiger deutscher Familie in geordneten Verhältnissen mit gesichertem Einkommen…“

Wir haben beide das Gefühl, dass das zwar grammatikalisch korrekt ist, aber inhaltlich nicht sonderlich aussichtsreich. Abends durchsuche ich das Internet nach Wohnungsgesuchen von jungen Familien und kopiere mir eine neue Anzeige zusammen. Mir fällt auf, das in allen Anzeigen der Satz steht: „Wir haben ausgezeichnete Referenzen und vermitteln dir gern einen Kontakt.“

Ich frage Ingela, meine 86-jährige schwedische Adoptiv-Oma, ob sie sich von einem potenziellen Vermieter über uns aushorchen lassen würde. „Klar“, schreibt sie, „mach nur, ich empfehle euch.“

Auf dem Wohnungsmarkt in Uppsala sieht es nicht üppig aus. Wir schicken unsere Anzeige an 3 Vermieter. Zwei sagen aus fadenscheinigen Gründen ab; ich vermute heimlich, dass sie keine Ausländer als Mieter wollen. Einer schreibt freundlich zurück und fragt nach unseren Referenzen.

Ich gebe ihm Ingelas Adresse und erkläre, dass wir sie aus der Kirche kennen. Die Antwort folgt postwendend. „Kommt doch am Sonntag vorbei, um euch das Haus anzuschauen. Am besten gegen 14 Uhr, dann sind wir aus der Kirche zurück.“

Ingela sagt später, der Vermieter habe sich nicht bei ihr gemeldet. Vielleicht war ihm das Wort „Kirche“ schon genug Referenz.

Wir fahren am Sonntag Nachmittag hin, lernen das Haus und die Familie kennen. Nein, es ist kein rotes Holzhaus auf dem Land, sondern ein modernes Reihenhaus in einer Siedlung neben einem Industriegebiet. Unmöbliert. Ein kleiner Garten. Wir zögern. „Unmöbliert“ bedeutet für uns: Möbel kaufen. Denn unsere Betten, Tische, Stühle, Schreibtische, Regale liegen ja auseinandergeschraubt in einem Lager in Deutschland.

Aber wir haben auch keine Alternative.

Ich rede mir das Möbelkaufen schön. Beginnen nicht die besten Artikel in den Schöner-Wohnen-Zeitschriften immer mit dem Satz: „Als sie die Möglichkeit bekam, ein ganzes Haus einzurichten…“? Ich werde die lokalen Flohmärkte durchkämmen. (Ein Kinderspiel mit zwei Kleinkindern im Schlepptau.) Vielleicht können wir uns sogar irgendwo Möbel ausleihen.

Wir versuchen, alle möglichen Fallstricke zu durchdenken und Lösungen zu finden, dann holen wir tief Luft und sagen dem Vermieter zu. Und spüren Erleichterung: Ziel erreicht. Anständige deutsche Familie hat Wohngelegenheit gefunden.

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