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Der Sturm

DER STURM (Shakespeare) am Frankfurter Schauspielhaus 2016
Regie: Andreas Kriegenburg
Foto: Birgit Hupfeld

 

Erinnert sich noch jemand an den kleinen, lieben Jungen, mit dem wir nach Schweden ausgewandert sind? Ausgeglichen, in sich ruhend, gutgelaunt? Ich selbst habe ihn schon länger nicht mehr gesehen. In den letzten Wochen ist nämlich ein Monster bei uns eingezogen. Das Monster heißt: „Trotzphase“.

Woher kommt plötzlich diese absolute Unfähigkeit unseres Dreijährigen, seine Gefühle zu kontrollieren? Warum muss jede Regel, die unser Zusammenleben als Familie ordnet, infrage gestellt werden?

Hände waschen vor dem Essen. Schuhe ausziehen nach dem Draußenspielen. Wir sprechen mit unserer freundlichen Stimme. Wir hauen nicht.

Warum muss jeder winzige Konflikt eskalieren und in Toben, Kreischen und Irgendwas-Griffbereites-aufs-Parkett-Schmeißen enden?

Ich hasse es, schon morgens vorm Frühstück angeschrien zu werden. Ich hasse es, wenn der Große seine Wut an der Kleinen auslässt.
Ich hasse es, wenn wir am Ende alle Drei brüllen.

Im Vorbeigehen lese ich den Satz: „Leben heißt nicht zu warten, bis der Sturm vorüberzieht, sondern zu lernen, im Regen zu tanzen.“

Das ist Blödsinn. (Entschuldigung, meine Kapazität, differenziert zu denken, ist heute Abend gleich Null.)

„Trotzphase“ heißt, zu warten, dass der Sturm vorüberzieht. Und abends, wenn das Trotzphasen-Kind endlich schläft, die eigenen Gefühle irgendwie zu verarbeiten und nicht am Ehemann auszulassen.

Und nun zu heute.
Ein miesepetriger Herbsttag, eine gerade überstandene Grippe, und als wären die Vorzeichen noch nicht schlecht genug, kriegt die Kleine Zähne. Wir fahren mit dem Bus zur Bibliothek. Ein gutes Buch wird mir guttun, denke ich, und meinem Sohn auch.

Noch ehe wir uns irgendetwas ausleihen können, müssen wir unter  verstohlen vorwurfsvollen Blicken wieder rausgehen: Die Kleine brüllt vor Zahnschmerzen. Ich ziehe den Kindern die Winterklamotten wieder an und haste nach draußen. Die Mütze vom Großen ist weg, die hat er irgendwo in den Gängen verloren. Noch ein Spießrutenlauf, noch einmal einmal wird die Bibliothek von uns beschallt. Bei Minusgraden sitzen wir dann vor der Bibliothek auf einer Parkbank und ich stille das Baby, weil nur das hilft. Der Große quengelt: „Du musst mir eine Geschichte erzählen!“

Er konnte schon ganz früh „Bitte“ und „Danke“ sagen, fällt mir ein. Das war schön. Bitte und Danke sind für mich Schmiermittel der Kommunikation, die Türen öffnen und nicht zuletzt aus Konflikten die Schärfe herausnehmen.
Aber in der Trotzphase geht es ja gerade um Eskalation.

Die Kleine brüllt weiter. Sie holt tief Luft und schreit dann, so laut sie kann. Es fetzt einem die Ohren weg. Ich überlege, mitten am Nachmittag meinen Mann anzurufen. „Hol uns bei der Bibliothek ab. Bitte. Ich kann mit diesen Kindern zurzeit keinen Bus betreten.“

Wir betreten den Bus, und es wird genauso schlimm wie befürchtet. Ich sitze gegen die Fahrtrichtung. Alle anderen Gesichter schauen mich an. Fahrgäste, die zwischenzeitlich aussteigen, atmen draußen sichtbar auf.

Wir kommen nach hause, es folgt  der Kampf ums Schuhe-ausziehen, ich koche Abendessen, in mir tobt es. Wenn ich jetzt meinen Frust nicht loswerde, lasse ich ihn an den Kindern aus, oder zerschmeiße Porzellan.

Aus dem Zimmer meines Bruders drang nach der Schule ohrenbetäubende Musik, fällt mir ein. – Das probiere ich. Ich greife mir eine CD aus meiner Jugend, aus der Zeit vor Mann und Kindern, und stelle die Lautstärke auf ohrenbetäubend. (Die Kinder sind im Wohnzimmer.) Es hilft ein wenig. Am Ende fühlt es sich fast wie Tanzen an.

Den Rest meines Frusts kriegt Vater Abraham ab, als ich ihm beim Abendessen das ganze Elend berichte. „Ich bin heute abend nicht offen für Kritik“, sage ich. „Verbesserungsvorschläge bitte erst morgen – dann kann ich mich denen wieder stellen.“

Ich weiß, dass mein Dreijähriger unter dem Gefühlsgewitter genauso leidet wie ich, wahrscheinlich noch mehr. Ich weiß, dass irgendwo vielleicht eine Stellschraube locker ist, die ich eventuell noch finden werde.

Aber heute habe ich für mich kein abmilderndes Fazit.

Trotzphase ist ätzend. Es gibt keinen leichten Weg dran vorbei. Ich trotze dem täglich neuen Sturm mit all meiner Kraft, mit dem letzten bisschen Liebe und Langmut, das ich aufbringen kann, auch wenn es nie reicht, und hoffe, dass das Gewitter irgendwann vorbeizieht.

G

 

Fieber

Mit dem ersten Frost kommt die Erkältungswelle. Obwohl ich meine, dass wir insgesamt ziemlich selten erkältet sind – die saubere Luft und die geringe Menschendichte mögen daran teilhaben, ich weiß es nicht – sind wir diesmal alle nacheinander krank geworden.

Vater Abraham macht den Anfang, die Kinder folgen auf dem Fuße.  Ich lege ihnen die Hand auf die Stirn: Sie glühen. Meine Mutter konnte damals mit ihrer Handfläche aufs Zehntelgrad genau unsere Temperatur messen, fällt mir ein. Ob ich das später auch mal kann? Bisher hatte ich noch nicht ausreichend Gelegenheit zum Üben.

Das Fieberthermometer? Kaputt. Stimmt, da hat die Kleine neulich drauf rumgekaut. Kurz überlege ich, ob ich den Großen dazu überreden kann, das Braten-Thermometer in den Mund zu nehmen. Verwerfe den Gedanken sofort.

In Schweden haben die meisten Geschäfte auch Sonn- und Feiertags durchgängig geöffnet, mit einer kuriosen Ausnahme: Man kann im ganzen Land von Samstagnachmittag bis Montagfrüh keinen Tropfen Alkohol kaufen. Abgesehen davon ist Shoppen in Schweden ein klassisches Sonntagsvergnügen. Da hat man ja Zeit.

Bislang haben wir es geschafft, uns treu zu bleiben und am Sonntag nichts zu kaufen. Ich habe das so im Blut, dass ich ganz erstaunt bin über die Vehemenz, mit der unsere schwedischen Bekannten darauf beharren: „Was soll man denn machen, wenn einem Samstag Abends die Milch ausgeht?“

Ich persönlich komme mit frühzeitigem Nachkaufen und Vorratshaltung von Hafermilch gut zurecht. Trinke meinen Kaffee aber ohnehin schwarz. „Sonntags einkaufen“ war für mich bislang jedenfalls keine Option.

Heute allerdings fahre ich tatsächlich los und kaufe am Sonntag… ein Fieberthermometer!

40 Grad. Wusste ich’s doch.
Gut, dass ich Fieberzäpfchen im Vorrat habe.

Wir bauen das Ehebett zur Krankenstation um. An den Seiten mit aufgestellten Matratzen flankiert, damit keiner fiebernd rausfällt, liegt rechts und links ein krankes Kind und ich in der Mitte. Vater Abraham wandert aufs Sofa aus. Es reicht, wenn sich einer von uns die Nächte um die Ohren schlägt. Mein Mann übernimmt dafür die Kinderbetreuung von 5 bis 7 Uhr morgens, da kann ich nochmal 2 Stunden am Stück schlafen.

Als nach ein paar Tagen das Fieber weicht und der Große wieder zur Förskola kann, werde ich als letzte auch noch krank. Jetzt ist warme Milch mit Honig angesagt. Zum Glück habe ich grad welche da.

G

Die Katze im Sack

Dieser Blog-Eintrag ist überfällig. Zum einen, weil die Anfänge der Geschichte schon 3 Monate zurück liegen. Zum anderen, weil mich immer wieder Leute gefragt haben, wie es mit unserer neuen Förskola (Kindergarten), die ich damals „Katze im Sack“ genannt habe, weitergegangen ist. Manche Geschichten schreiben sich leichter, wenn man das Ende kennt. Heute schreibe ich sie also.

„Die Eingewöhnung in unserer Förskola dauert für gewöhlich 2 Wochen“, sagt die Erzieherin beim Vorgespräch zu mir. „Mal kürzer, mal länger.“

Ich bin froh über dieses Vorgespräch. Es hilft mir, meine Skepsis gegenüber der neuen Förskola zu überwinden. Zuerst möchte die Erzieherin, dass ich meinen Sohn beschreibe. Womit spielt er gern, was interessiert ihn? Wie äußert er, wenn er unglücklich ist, und was tröstet ihn?

Je länger das Gespräch dauert, desto mehr merke ich: Heute geht es weniger um mein Kind, als um mich. „Wie geht es dir damit, dass Rickard in die Förskola kommt? Glaubst du, dass es einfach wird?“

Nein. Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht.

Letztes Jahr, ja. Da war er daran gewöhnt, Zeit ohne mich zu verbringen: bei den Großeltern, mit den Nachbarskindern, der Babysitterin. Aber jetzt sind wir seit einem Jahr im Ausland. Von den nahen Bezugspersonen sind im Alltag nur Mama und Papa übrig gebliebenen. Ich bin es, die mit den Kindern auf den Spielplatz geht, zum Einkaufen, überallhin. Ich backe Brot, mache die Wäsche, räume auf, und währenddessen ist er entweder dabei oder verteilt seine Matchbox-Autos im ganzen Haus.  Ich kann mich darauf verlassen: Er geht nicht ohne mich weg. Und er weiß dasselbe von mir. Der Satz „Ich gehe ohne dich“ ist allenfalls eine leere Drohung.

Und jetzt soll ich auf einmal ohne ihn weggehen? – Nein, ich glaube nicht, dass das einfach wird.

Dann hat die Erzieherin noch eine Neuigkeit für mich. „Komischer Zufall“, sagt sie: „In Rickards Gruppe gibt es dieses Jahr noch drei weitere Kinder, die Deutsch sprechen.“ – Ich muss daran denken, wie ich im Vorfeld für die neue Förskola gebetet habe.

Die Eingewöhnung beginnt. Zwei Wochen lang soll ich meinen Sohn ununterbrochen begleiten, von 9 bis 14 Uhr: Morgens draußen auf dem Spielgelände, später drinnen im Singkreis, beim Mittagessen, beim freien Spiel zwischen Lego-Ecke, Tobe-, Bastel- und Ruheraum.

30 Kinder und 7 Pädagogen, davon knapp die Hälfte Männer. Hinzu kommen 2 schwerbehinderte Mädchen mit eigenen Betreuerinnen. Ich finde die Anzahl der Kinder zuerst ganz schön hoch. Schnell merke ich aber: Die Pädagogen achten immer darauf, dass kleine Gruppen entstehen. Rafael sitzt mit vier Jungs in der Legoecke, Saga verteilt im Atelier Farben und achtet darauf, dass jeder einen Malkittel anzieht, Karin liest eine Geschichte vor. Überall herrscht eine ruhige, harmonische Atmosphäre. Gefällt mir.

Alle Pädagogen begrüßen Richard im Laufe des Tages und stellen ihm viele freundliche Fragen auf Schwedisch. Einer Sprache, die er mittlerweile ein wenig versteht, aber von sich aus kaum spricht. Genau wie ich am Anfang auch, fühlt er sich unsicher, wenn man ihn anspricht, und versucht, sich elegant aus Gesprächen herauszuhalten.

Seine Strategie: Alle Fragen, die er nicht versteht, beantwortet er mit „Ja“. Damit kommt er erstaunlich weit. Das liegt wohl an der Natur der Fragen, die man kleinen Kindern üblicherweise stellt:

„Na, alles klar?“
Ja.
„Fährst du gerade Dreirad?“
Ja.
„Macht das Spaß?“
Ja.

Mit einem unbestimmten „Ja“ vermeidet man Nachfragen. Und Konflikte. Klug.

Gleichzeitig mit meinem Sohn werden noch andere Kinder eingeschult. Nach 2 Tagen dürfen die anderen Mütter für eine halbe Stunde rausgehen, Kaffee trinken. Ich nicht.

Nach einer Woche sind die anderen Kinder eingewöhnt. Meines nicht. Auch nach 2 Wochen nicht.

Ich merke, wie anstrengend die 5 Stunden Kindergarten für meinen Dreijährigen sind. Oft schläft er hinterher lange, manchmal ist er furchtbar schlecht gelaunt. Manchmal bin ich es auch, schließlich sitze ich jeden Tag 5 Stunden auf dem Fußboden rum. Mitsamt meinem Krabbelkind, das ja immer dabei ist. Unser Haushalt liegt brach, ich führe mit meinem schlechten Gewissen Diskussionen, die zu nichts führen:

„Wie sieht es denn hier aus?!“
„Wann sollte ich das denn bitte aufräumen, nachts?“

Langsam, ganz langsam taut mein Sohn in der Förskola auf. Beobachtet genau, und fasst Vertrauen zu einzelnen Pädagogen. Er spricht mit ihnen und leitet von ihrer Reaktion ab, dass sie ihn nicht verstehen. Sich aber bemühen. Dass niemand frustriert ist über die misslungene Kommunikation, oder über ihn. Noch immer braucht er meine Anwesenheit. Die Mama auf den Fußboden als Übersetzerin, Erklärerin, Rückzugsraum.

Mein erster Versuch, für eine halbe Stunde rauszugehen, wird abgebrochen. Er wird hysterisch, panisch. Ein paar Tage später werde ich wieder rausgeschickt, sitze heulend vorm Kindergarten. Er sitzt heulend drinnen.

Nach 2 Wochen schlägt eine der Erzieherinnen vor, wir müssten jetzt durchgreifen. Ich sollte einfach nach hause gehen und meinen Sohn  dalassen. Er werde sich schon fangen.

Ich kann nicht. Die Erzieherin und ich diskutieren. Freundlich, schwedisch, zwischen den Zeilen.  Ich sage: „Ich habe den Eindruck, er ist noch nicht bereit. Außerdem würde es ihm, glaube ich, guttun, wenn er eine feste Bezugsperson hätte.“ Sie sagt: „Na gut. Es soll sich ja für dich richtig anfühlen.“ Durch die schwedische Diskussionskultur gewinne ich nochmal zwei Tage und eine feste Betreuerin.

Es braucht einfach Zeit, Menschen zu vertrauen, deren Sprache man nicht versteht. Darauf zu bauen, dass man sich um einen kümmern wird, wenn man Hilfe braucht, auch wenn man sein Bedürfnis nicht erklären kann. Neue Routinen zu befolgen, wenn man die dazugehörigen Kommandos nicht kennt. („Nu är de dags att städa!“ Aha, Aufräum-Zeit.)
Es braucht Zeit, Mama gehen zu lassen.

Ich wünschte, ich hätte diese gelassene Zuversicht damals schon gehabt. In Wirklichkeit habe ich mich nämlich im Stillen gefragt: Liegt es an mir? Warum klammert mein Kind so? Soll ich eine andere Förskola suchen? Und wäre nicht alles einfacher, wenn wir in Deutschland …“

Dreieinhalb Wochen sitze ich auf dem Kindergarten-Fußboden. Da passiert es:  Ich fühle mich plötzlich überflüssig. Mein Sohn spielt zwischen den anderen Kindern, kommuniziert ein deutsch-schwedisches Mischmasch mit den Erziehern, das funktioniert. Gelegentlich schaut er nach mir, ob ich noch da bin.

„Kann ich morgen ohne dich nach hause gehen?“, frage ich ihn am Abend. „Ja“, antwortet er.

Seitdem geht er jeden Morgen fröhlich zur Förskola.

G

 

 

 

Stadtführung im Herbst

Wer uns in diesem Jahr in  Uppsala besucht hat, der hat meine Stadtführung miterlebt. Eine Runde voller Lieblingsorte, vom Schloss zum Dom, zur alten Mühle und zur Bibliothek.

Vorgestern, an einem der letzten warmen Herbsttage, bin ich die Strecke nochmal allein abgefahren, mit den Kindern im Fahrradanhänger, und habe Fotos gemacht. Für alle die, die gern an Uppsala zurückdenken, und ebenso für alle, die noch nicht da waren: Hier kommen heute viele Fotos von unserer Stadt im allerschönsten Herbstkleid.

Wir nähern uns dem Stadtzentrum von Osten, auf der Fahrradstrecke. Schon hier sieht man, wie grün diese 180.000-Einwohner-Stadt ist: grün, sauber und friedlich.

Die Türme des Doms sind immer zu sehen. Es gibt sogar eine Bauverordnung, dass kein Gebäude den kilometerweiten Blick aus den Zufahrtstraßen auf den Dom verbauen darf.

 

Herbstfarben.

Kurz vorm Zentrum, direkt am Haupt-Fahrradweg, liegt dieser kleine Spielplatz, bestehend aus einer Dampflok und einem Karussell. Wenn wir etwas Zeit haben, halte ich hier an und die Kinder können einen Moment spielen.
Das ist auch etwas, das ich an Uppsala schätze: Die vielen  gepflegten Spielplätze.

Moderne Architektur hinterm Hauptbahnhof. Die eine Seite hat kaum Fenster….

… die andere Seite hingegen ist so offenherzig wie die Wimmelbilder von Ali Mitgutsch. Man kann den Leuten buchstäblich ins Leben hineinschauen.

Der Hauptbahnhof. Es gibt 20 Parkplätze. Und gefühlt 9 Millionen Fahrradständer.

Am Hauptbahnhof zählt eine Bodenschwelle die vorbeifahrenden Fahrräder. Heute sind es 4349, knapp 1000 weniger als gestern. Aber es ist ja erst Nachmittag, es werden sicher noch deutlich mehr.

Wir kommen in die Altstadt, durch die sich der Fluss Fyrisån schlängelt. Am Ufer sind Cafés, Kinos und noch mehr Fahrradständer. Studentenstadt halt.

Herzstück der Stadt und wirklich einen Besuch wert: Der Dom von Uppsala! Seiner Imposanz wird nur ein hochkantiges Foto gerecht.

Mit seinen 118,7 Metern Höhe ist er die größte Kirche Skandinaviens. Hier liegt in einer eigenen Kapelle Schwedens Nationalheld Gustav Wasa begraben, und im Eingangsbereich der Botaniker Carl von Linné.

Es ist fast nicht möglich, den ganzen Dom auf ein Bild zu bekommen. Ich finde, das muss man aber auch nicht.

Altstadtimpressionen.

Farbenspiel und Schatten. Die Kinder werden im Fahrradanhänger ungeduldig, weil ich so viele Fotos machen muss.

Der vielleicht schönste Platz Uppsalas: Die alte Mühle. Der Regisseur Ingmar Bergmann, übrigens in Uppsala geboren, hat sie als Kulisse in seinem Film „Fanny und Alexander“ verwendet.

Hier am Wasserfall kann unser Sohn stundenlang stehen und schauen.

Im Inneren der Mühle ist heutzutage ein Museum. Hierhin fahren wir öfters, vor allem wenn es im Winter so früh dunkel ist. Es gibt nämlich einen schönen Kinderspielplatz im 1. Stock: Die Welt von Petterson und Findus, den Figuren aus den Kinderbüchern von Sven Nordqvist.

Zwei zufriedene Kinder.

Noch ein letzter Blick den Fyrisån hinauf.

Die meisten meiner Ausflüge in die Stadt enden früher oder später in der Stadtibliothek. Im Sommer kann man hier im Innenhof Kaffee trinken, Zimtschnecken essen und Zeitung lesen. Im Herbst reichen die Sonnenstrahlen nicht mehr bis hierhin herab. Trotzdem ein schöner Ort.

Wir versorgen uns mit Lektüre und fahren nach Hause. Bald kommt die dunkle, kalte, schnee-regnerische Seite des Herbstes, wo man sich nur noch drinnen verkriechen will.

In etwa 7 Monaten kommt dann wieder der Frühling. Wie gut, dass ich Erinnerungsfotos gemacht habe. Um bis dahin nicht zu vergessen, wie schön Uppsala ist.

G

Ein Jahr

Und eines Tages wohnen wir schon ein ganzes Jahr in Schweden.

War das wirklich erst vor einem Jahr, dass wir aus dem Flugzeug ausstiegen? Mutig und kraftvoll und nichtsahnend?

Mir fällt ein Video in die Hände, das wir im September letzten Jahres von unserem Sohn gemacht haben. Damals sprach er noch in 2-Wort-Sätzen. „Schlafsack ausziehen. Papier runterfallen. Da, Mercedes.“ Heute sagt er zu mir: „Mama, wenn ich was kaputt mache, darfst du ruhig rumschreien.  Aber wenn ich alles vollkrümel, darfst du eigentlich fröhlich sein.“ (Wie konstruktiv und elegant dieses Kind meine Erziehungs-Entgleisungen  infrage stellt…)

Damals…
… und heute.

Die Kleine, damals noch im Bauch, klettert heute jauchzend und keuchend Treppenstufen hinauf. Und zieht sich überall zum Stehen hoch.

Mit Anbruch unseres 2. Jahres sind wir nicht mehr die Neuen. Der Herbst hat neue Neue nach Uppsala gebracht: Austauschstudenten, Asylsuchende, entsendete Arbeitnehmer. Überall in der Stadt wird wieder Englisch gesprochen. Hin und wieder höre ich deutschen Akzent und lächele in mich hinein.

Von allen schwedischen Jahreszeiten ist mir der Herbst die liebste. Das Licht ist golden, morgens liegt Tau auf den Wiesen, meine Kinder tragen die warmen Wollsachen, die ich über den Sommer gestrickt habe. Abends wird es wieder ganz normal dunkel. Schon sinken die Temperaturen wieder an die Frostgrenze herab, und die Bäume färben sich leuchtend rot und gelb.

Ich fühle mich mittlerweile ein wenig dazugehörig. Ich kenne die Fahrradwege, die Supermarkt-Preise, und wenn mich jemand anspricht, kann ich etwas Sinnvolles antworten. Wie die Einheimischen versuche ich, noch so viel Sonne wie möglich zu tanken, denn ich weiß, der Winter steht schon vor der Tür. Schon fliegen die Lappland-Gänse wieder in Richtung Süden.

Wir aber bleiben noch hier.

G

Einmal im Jahr durchpusten lassen

Einmal im Jahr mache ich etwas Verrücktes. Ich führe Selbstexperimente im Namen der Wissenschaft durch. Mein Schwerpunkt: Ornithologie. Dazu reise ich an handverlesene Plätze Europas, um für wenige, kostbare Augenblicke eine besondere Spezies von Zugvögeln in freier Wildbahn zu erleben: die Donnervögel. Mal in Piancavallo in Nord-Italien, mal St. Dezier im Osten Frankreichs, mal Spangdahlem im pfälzischen Teil Deutschlands, mal eine spanische Insel vor der Küste Süd-Marokkos.

Dieses Jahr bin ich Nordschweden unterwegs, in der Nähe von Luleå (Das spricht man „Lüleo“). Luleå liegt über 800 km nördlich von Uppsala und ist auf dem Atlas parallel zu Sibirien zu verorten. Gerd Ruge würde mich in jedem Fall beneiden. Menschen gibt es hier kaum, zumindest treffe ich keine. Es ist sckrecklich kalt, etwa +3 °C , mit viel Wind und immer mal wieder einem grauen Schauer; nicht sonderlich einladend. Die Landschaft zeichnet sich durch Kargheit aus. Kilometerweite Wälder von schmalen Nadelbäumen, die ganz gerade in die Höhe wachsen und auf einem durchgängigen Moosbett stehen.

Wenn man aufmerksam hinschaut, kann man hier und dort die berühmten Schwedischen Preiselbeeren finden. Ihr Rot ist der einzige Farbtupfer weit und breit. Nun wende mich meinem eigentlichen Ziel zu: dem Himmel. Also Augen nach oben gerichtet und Ohren gespitzt, erstmal ohne Gehörschutz. Geduldig, voller freudiger Erwartung, harre ich aus.

Und plötzlich, da!  Ein schnelles Hinweghuschen, halbverdeckt hinter Nadelgehölz, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Fauchen – großartig!

Ich bin am Ziel meiner diesjährigen Verrück(t)ungsreise angekommen und stehe im Abgas- und Lärmstrahl eines schwedischen Donnervogels!

Mit einem Lächeln um Gesicht genieße ich die kurzen Momente übermenschlicher, markerschütternder Kraft und Geräuschkulisse, sauge sie sprichwörtlich in mich auf. Das tut gut – einmal im Jahr mal richtig gründlich durchpusten lassen!

V

 

Kindergeburtstag

Wir haben einen Dreijährigen! Und feiern Kindergeburtstag.

Unser Geburtstagskind hat 3 Kinder aus seiner Förskola eingeladen: Einen Jungen aus dem Nachbarhaus und zwei Zwillingsmädchen, die auch Deutsch sprechen. Seine ersten Freunde hier.

Ich habe Kuchen gebacken. Eine Eisenbahn war gewünscht, ich habe sie mithilfe eines „Kalten Hundes“ umgesetzt.

3 Jahre

Und weil’s für mich einfach kein richtiger Geburtstag wäre ohne Nussecken, habe ich mit der Handmühle Nüsse gemahlen und unser altes Familienrezept gebacken.

Während Vater Abraham mit den Kindern herumjuxt, haben wir Mütter Zeit für zwei, drei ruhige Tassen Kaffee am Elterntisch.

Ich habe nur einen einzigen Programmpunkt geplant: Wir basteln  Handabdrücke aus Salzteig. Das geht schnell und alle haben eine Erinnerung zum Nach-Hause-Mitnehmen.

Am Ende sind alle Kinder zu müde, um noch gut gelaunt zu sein. Das gehört dazu. Es war schön. Ein fröhliches Fest für ein tolles Kind.

G

Johannisbeerzeit

Ein Abschiedsgruß an den Sommer…

Kurz vorm Umzug habe ich noch die Johannisbeersträucher in unserem Garten abgeerntet. Hier in Schweden werden die Johannisbeeren ja erst Ende Juli reif.

Als wir einzogen, waren die Büsche struppig und verwildert. Nach ein bisschen Recherche habe ich sie mutig (besser gesagt: radikal) beschnitten. Die Ernte war daraufhin wirklich erstaunlich gut.

Kiloweise roter und schwarzer Beeren habe ich gepflückt und zu Marmelade verkocht. Und natürlich Johannisbeerkuchen gebacken, mit einem süßen Sauerteig-Boden (nach diesem Rezept vom Plötz-Blog).

Man beachte die kleine Hand im Hintergrund, die sich während des Foto-Shootings heimlich einen Streusel schnappt.

11 Gläser Johannisbeermarmelade sollten für den Winter reichen.

G

Förskola

„Warum geht er denn noch nicht zur Förskola?“

Die schwedische Sprache kommt ohne viel Modulation aus. Missbilligung muss man sorgsam zwischen den Zeilen lesen. Widerspruch kommt freundlich als „Ja, aber…“ daher. Das Wort „Nej“ (Nein) lernt man zwar als Tourist, aber man braucht es im Alltag kaum. Es ist viel zu negativ.
Manchmal bin ich unsicher, ob ich in meiner Wortwahl nicht versehentlich unhöflich bin. Ich mache mehr Pausen als früher, um meinem Gegenüber Gelegenheit für ein „Ja, aber“ zu geben. Ich lausche den Sätzen anderer nach, ob darin nicht doch Kritik mitschwingt. So wie jetzt gerade.

Also, warum geht unser Kind noch nicht in eine Kinderbetreuung?

Fakt ist: Vor einem halben Jahr, im Februar, haben wir es versucht (siehe hier). Wir hatten allerdings Pech. Nach 2 Tagen unter frostigen Erzieherinnen und todunglücklichen Kindern entschieden wir: Hierhin schicken wir unser Kind nicht.

Im Nachhinein merke ich, dass ich danach unterbewusst alle Förskolas unter Generalverdacht gestellt habe.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs zum Thema Förskola, gesprochen Förschkola. Auch wenn das Wort „Schule“ mitklingt: Es handelt sich um eine Betreuung von Kindern von 0 bis 5, aufgeteilt in 3 Altersgruppen. Die Kleinsten werden gewickelt, gefüttert und bespaßt, die Größeren gefördert und auf den Spielplatz zum Austoben geschickt. Lustig finde ich, dass im ultramodernen und gender-neutralen Schweden die Kinder ihre Erzieherinnen ausgerechnet „Fröken“ nennen – „Fräulein“. Diese Fräuleins sind zu 50% Vorschulpädagogen und einfache Kinderpflegerinnen.
Förskola-Plätze sind knapp. Die Vergabe erfolgt über eine komplizierte digitale Plattform, man hat wenig Mitspracherecht bei der Auswahl der Einrichtung. Man nimmt, was man kriegt, sonst steht man ohne Platz da. – Exkurs Ende.

Irgendwann fragt mich also mein Mann: „Warum schiebst du es eigentlich so vor dir her, für Richard einen neuen Förskola-Platz zu finden?“

Ertappt.

Widerstrebend stelle ich mich dem Thema und versuche, diesmal alles richtig zu machen. Surfe über die digitale Förskola-Plattform, radle durch Uppsala, besuche Einrichtungen, und hebe dabei tatsächlich einen Goldschatz: eine freie Förskola in einer alten, bunten Stadtvilla, mit Holzfußböden, hohen Fenstern, nur 15 Kindern. Ich bewerbe uns und hurra, ergattere einen Platz. Mit 6 Monaten Wartezeit, aber egal.

Ja, und als die Wartezeit fast abgelaufen ist, kommt uns der Umzug dazwischen und wir ziehen ans andere Ende der Stadt. Die digitale Plattform bietet uns umgehend einen Förskola-Platz am neuen Wohnort an. Ich fahre hin. Keine Altstadtvilla, sondern ein flacher Plattenbau. Ich suche nach Indizien, dass es hier anders zugegt als bei der schrecklichen Förskola im Februar. Ich würde mir gern die Kinder anschauen. Aber es sind keine da. Sommerpause. Alles wirkt verwaist, kahl und zweckmäßig.

Mein Mann und ich ringen um eine Entscheidung. Es steht Villa Kunterbunt gegen Katze im Sack. Eine Stunde Fahrzeit am Tag gegen einen kurzen Spaziergang. Neue Freunde weit weg oder bestenfalls Freunde in Nachbars Garten.

Ich würde gern in die Zukunft sehen und wissen, welche Förskola für unseren Sohn die bessere ist. Aber es geht ja nicht. Wir sind einfach nur ratlos.

Solche Entscheidungen besprechen wir immer mit Gott. Irgendwann in der Nacht steht fest: Wir wagen die Katze im Sack. Ich sagte der Villa Kunterbunt ab. Und fange an, für die neue Förskola zu beten.

G

Umzug oder: Dies ist noch nicht das Ende

Wir sind drin. Das war nicht einfach.

Ich hatte schon wieder vergessen, wie anstrengend so ein Umzug ist. Zum Glück hatten wir alle Umzugskisten und alles Packpapier im Keller aufbewahrt. Also dann, noch einmal: Aufräumen, sortieren, Teppiche und Gardinen waschen und einpacken, Bilder von den Wänden nehmen, in Papier einschlagen… und dann alles, jedes einzelne Stück, das wir besitzen, thematisch sortiert in Kisten packen. Beschriften. Kindersicher stapeln.

Nebenbei Kinder füttern, wickeln, essen kochen, einkaufen, saubermachen, Bücher vorlesen, Spielzeugautos reparieren, gute Laune behalten.
Ist nicht zu schaffen. Ist mir jedenfalls nicht gelungen.

Dann, am Montagmorgen, hieven 5 Umzugsmänner unsere Kisten und die schönen neuen Second-Hand-Möbel in einen LKW. Ganz schwedisch heißt es danach „Wir machen erstmal Mittagspause“, und weg ist der LKW mit unserem gesamten Besitz. Vater Abraham und die Kinder fahren los und besorgen was zu essen. Ich räume die letzten Sachen in der alten Wohnung zusammen, buddele zum Schluss trotzig meine Blumen aus dem Garten aus, um sie später im neuen Garten wieder einzusetzen.

Dann fahre ich hinterher. Keine Kinder hinten im Auto; ich drehe das Radio auf. Jemand singt: „This is not the end. Trees are falling – not you.“ Ich bin müde und hungrig, unser Zuhause ist in seine Einzelteile zerlegt, aber jetzt werde ich einen Moment lang eigentümlich froh. This is not the end. Dies ist noch nicht das Ende unseres Schweden-Aufenthalts.  Der nächste Umzug wird kommen, irgendwann nächstes Jahr, und wird dann zurück nach Deutschland gehen. Aber bis dahin bekommt die Geschichte ein paar weitere Kapitel. Und es werden noch ein paar Blog-Einträge hinzu kommen.

G